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Das Thema Bierkeller und Salon

Nach dem verlorenen ersten Weltkrieg sind die Zeiten im Deutschen Reich schlecht. Inflation, Arbeitslosigkeit und Armut beherrschen das Leben der Menschen. In München stehen sich die verschiedenen politischen Lager erbittert gegenüber.

Stand: 17.03.2011 | Archiv

Alfred Rosenberg und Adolf Hitler (v.l.) München, 1923 | Bild: picture-alliance/dpa

Besonders rechte, paramilitärische Verbände und Parteien erfahren einen großen Zulauf. In den gut besuchten Münchner Bierkellern halten diese Vereine ihre Reden und Versammlungen, was oftmals in Schlägereien endet. Einer dieser Redner, der es mehr als jeder andere versteht, die Zuhörer zum Toben zu bringen, ist Adolf Hitler.

Wie war es möglich, dass eine Kulturnation einen Mann wie Adolf Hitler an die Macht kommen ließ? Nazigrößen erklärten es aus den übermenschlichen Fähigkeiten ihres Führers. Die wahren Ursachen sind viel komplizierter.

Die "Dolchstoßlegende"

Erster Weltkrieg: Deutsche kriegsgefangene Soldaten 1918 an der Westfront

Kriegsheimkehrer berichteten, sie seien vom Kriegsende überrascht worden und wütend über die Niederlage, weil sie sich nicht geschlagen fühlten, also im Felde unbesiegt seien. Sie stünden mitten im Feindesland, fühlten sich verkauft und verraten von den Juden und Marxisten, die zu Hause eine Revolution angezettelt und so den Wehrwillen untergraben hätten. Es sei als habe man ihnen den Dolch in den Rücken gestoßen. Für einen Frontsoldaten wie den späteren SA-Führer Ernst Röhm brach 1918 eine Welt zusammen. Der Krieg war für sie nicht zu Ende.

Die "jüdische Revolution"

Kurt Eisner proklamierte den Freistaat Bayern und setzte eine provisorische republikanische Regierung ein. Mit Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten knüpfte er an basisdemokratische Vorstellungen an. In seiner Regierung waren einige Juden vertreten. Dies schürte antisemitische Reaktionen.

Die Gegenrevolution formiert sich

In den Einwohnerwehren, Freikorps und ähnlichen paramilitärischen Organisationen lebten der soldatische Geist und die Führeridee weiter, während sich die politischen Lager erbittert gegenüberstanden. Geheimbündische Organisationen wie die Thule-Gesellschaft oder die Organisation Consul stehen beispielhaft für die ideologische Polarisierung. Die Liquidierung des politischen Gegners gehörte zu den Mitteln des politischen Kampfes.

Gelber Davidsstern, den Juden während des Nazi-Regimes tragen mussten.

Die Thule-Gesellschaft, gegründet 1912 in München, zählte bald zu den mächtigsten Geheimorganisationen in Deutschland. Viele Mitglieder verfügten über Geld, glänzende Beziehungen und zählten zu den Spitzen der Gesellschaft. Anwälte, Richter, Universitätsprofessoren, Polizeibeamte, Aristokraten aus dem Umkreis der Wittelsbacher, führende Industrielle, Ärzte, Naturwissenschaftler waren ebenso darunter wie reiche Geschäftsleute. Sie alle hatten ein klares politisches Ziel: Die Errichtung eines großdeutschen Reiches, die Herrschaft der Deutschen als überlegene Rasse, die Bekämpfung der Juden und Sozialisten.

Die antisemitischen Tendenzen erwiesen sich als eine der verlässlichsten Stützen, wollte man die Vision der unbesiegten deutschen Nation aufrechterhalten. Die Suche nach einem Schuldigen für Niederlage und Demütigung führte schnell zu dem Ergebnis: Es sind die Juden. Die Ortsgruppe München des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens wehrt sich in einer Art Selbstanzeige gegen die Vorurteile. Gleichzeitig gibt es vereinzelt, wenn auch in dieser Schärfe nicht zu verallgemeinern, antisemitische Kampagnen des Völkischen Schutz- und Trutzbundes, die sich wie Programme der NSDAP nach 1939 lesen.

Inflation

Eine Reichsbanknote aus dem Jahr 1923

Es gibt direkte Zusammenhänge zwischen schlechter wirtschaftlicher Lage und dem Anwachsen rechter Kräfte. Die instabile Lage bis 1923 war ein idealer Nährboden für politische Parolen, die Entstehung von Feindbildern und dem "Ruf nach einem starken Mann".

Polizei, Justiz und Regierung auf Rechtskurs

Es kam nicht selten vor, dass sich die Linken und die Rechten tätliche Auseinandersetzungen und Saalschlachten lieferten. Die bayerische Justiz wusste hier jedoch fein zu differenzieren: Der kommunistische Reichstagsabgeordnete Wendelin Thomas und zwei seiner Genossen wurden Anfang April 1921 wegen Aufreizung zum Klassenkampf zu je zwei, ein weiterer Parteigenosse zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Der Strafkammer saß jener Richter Georg Neithard vor, der später auch den großen Hitlerprozess führen sollte.

Der Bürgerbräukeller im Jahr 1923

Nicht einmal ein Jahr später fand der selbe Richter gegenüber Adolf Hitler und Genossen sehr viel mildere Worte. Hitler, Hermann Esser und zwei Mittäter hatten eine linksgerichtete Versammlung im Löwenbräukeller gewaltsam unterbrochen, den Redner von der Bühne gezerrt und verprügelt.

Am 8. November 1923 sprengten Hitler und Genossen, deren Bewährungsstrafe aus diesem Prozess noch nicht abgelaufen war, eine Versammlung der rechtsgerichteten Regierung unter Gustav von Kahr im Bürgerbräukeller. Er erklärte sie für abgesetzt und rief die nationale Revolution aus. Am nächsten Tag marschierten die Nazis und ihre Anhänger durch München, um weitere Unterstützung zu mobilisieren.

In diesem Kontext erhält der Satz Ernst Pöhners, Münchner Polizeichef, Mitglied der Thule-Gesellschaft und Hitleranhänger im Prozess gegen Adolf Hitler 1924 sein wirkliches Gewicht: "Wir hielten unsere schützende Hand über die Partei und Herrn Hitler, weil wir darin einen Keim für Deutschlands Erneuerung sahen." Die Zustimmung breiter Kreise zu Hitler und seinen Absichten äußerte sich auch in Briefen, die der Staatsanwalt während des drei Monate später stattfindenden Prozesses gegen die Putschisten erhielt. Es schrieben vor allem Frauen.

Kontakte und Karrieren - Der Weg Hitlers und seiner Anhänger

In diesen Milieus, wie sie sich in München nach 1919 finden, konnte sich Adolf Hitler als Spitzel der rechten Parteiszene problemlos integrieren. Hier war es für ihn nicht schwierig, als begabter Redner und Propagandist erst die kleine Mitgliederschar der DAP und später größere Gruppen in der überhitzten Atmosphäre der Münchner Bierpaläste mit plakativer Rhetorik zu begeistern.


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