Humanismus in Bayern Ein Abriss in Bildern
Conrad Celtis (1459 - 1508): Anstifter und Erzhumanist
"Erz-" als Vorsilbe bedeutet der "Oberste", "Erste", "Höchste" in einer Hierarchie. Es gibt Erzengel, Erzväter, Erzherzöge, und es gibt ihn: den Erzhumanisten Conrad Celtis. Der im 19. Jahrhundert geprägte Ehrentitel betont die Bedeutung, die dem Weinbauernsohn aus Unterfranken für die Ausbreitung des Humanismus und das Aufleben der neulateinischen Dichtung in Deutschland zukommt.
Erzhumanistisch ist zunächst sein Bildungsgang: Celtis lernt Latein und Griechisch, studiert in Padua, Ferrara, Bologna, Florenz, Venedig und Rom. Hier findet Anschluss an humanistische Kreise und saugt die neuen Lehren begierig auf. Er kehrt nach Deutschland zurück, reist von Universität zu Universität, bleibt nie lange am selben Ort. Aber wo er in Deutschland, Österreich, Ungarn, Polen, Italien auftaucht und Vorlesungen hält, ist der Zulauf immens. Er gründet wissenschaftliche Gesellschaften, begeistert die Jugend für das neue Bildungsideal, ist Initiator, Impulsgeber, Anstifter im besten Sinn, ein Aktivist der geistig-akademischen Erneuerung.
Celtis ist nicht Charismatiker, er ist Dichter von hohem Rang, der die neulateinische Lyrik auf eine neue Grundlage stellt. 1486 veröffentlicht er eines der ersten systematischen Lehrbücher antiker Vers- und Strophenformen in Deutschland (Ars versificandi et carminum). Mit seinem Streben, antike Versformen, Metren und Gattungen einzuführen, ist Celtis ein Wegbereiter der Dichtungslehren des Barock. Sein poetologisches Wissen, sein geschliffenes Redetalent und vor allem seine eleganten, an Horaz orientierten Gedichte machen ihm rasch einen Namen. 1487 krönt Kaiser Friedrich III. den gerade 27-Jährigen zum ersten Poeta laureatus deutscher Herkunft. Mit diesem Titel ist das Recht verbunden, Vorlesungen an jeder deutschen Universität zu halten. 1492 folgt Celtis einem Ruf an die neu gegründete Universität in Ingolstadt. Seine Antrittsvorlesung ist ein humanistisches Fanal, das die Beschäftigung mit der Antike als zentrale Lebenslehre feiert. Von 1492 bis 1494 unterrichtet Celtis mit Unterbrechungen Poesie und Rhetorik sowie die studia humanitatis.
Neben seinen zahlreichen Lehrtätigkeiten ist Celtis auf vielen anderen Feldern aktiv. Er gibt die Werke Senecas, die Germania des Tacitus und die lateinischen Schriften Hrotsvits von Gandersheim heraus, entdeckt die als Tabula Peutingeriana bekannte Kopie einer spätantiken Straßenkarte des Römischen Reichs, interessiert sich für Astronomie und Mathematik.
Sein letzter, erstmals sesshafter Lebensabschnitt beginnt 1497. In diesem Jahr beruft ihn Kaiser Maximilian I. als ordentlichen Universitätsprofessor nach Wien. Hier gründet Celtis ein Collegium poetarum et mathematicorum mit dem kaiserlichen Privileg zur Dichterkrönung und liest als Erster im Sprachraum über den griechischen Urtext des Homer sowie über Tacitus‘ Germania. Er stirbt am 4. Februar 1508 in Wien.
Konrad Peutinger (1465 - 1547): Autor, Bürger, Sammler, Diplomat
Der Sohn einer vermögenden, aber nicht patrizischen Augsburger Kaufmannsfamilie kommt während seines Jurastudiums in Padua, Rom und Florenz mit dem Humanismus in Berührung. Ab 1490 steht Peutinger im Dienst der Reichstadt Augsburg, 1497 übernimmt er das Amt des Stadtschreibers. In dieser Position leitet er die städtische Verwaltung, verantwortet den offiziellen Schriftverkehr und vertritt die Stadt nach außen. Zudem gehört er zum engsten Beraterkreis des Kaisers, der ihn mit politischen und diplomatischen Missionen betraut.
Peutingers Bedeutung als einflussreicher bayerischer Humanist stützt sich auf viele Verdienste. Er ist zunächst als Mäzen die prägende Gestalt der Sodalitas Augustana, eines Augsburger Humanistenzirkels, der sich nach ihm auch Sodalitas Peutingeriana nennt. Obendrein ist Peutinger ein engagierter Netzwerker. Die Liste seiner Briefpartner umfasst mit Thomas Morus, Conrad Celtis, Sebastian Brant, Johannes Reuchlin, Willibald Pirckheimer und Erasmus von Rotterdam die führenden Humanisten Europas.
Geschätzt und berühmt ist Peutinger jedoch in erster Linie als Philologe, Herausgeber, Sammler und Altertumsforscher. Er ediert wichtige Quellenwerke wie die Gotengeschichte (Historia Langobardorum) des Paulus Diaconus und die Gotengeschichte (Getica) des Jordannes, übersetzt Bücher aus dem Lateinischen und ins Lateinische und beginnt mit den Vorarbeiten zu einer Geschichte aller Kaiser seit der Römerzeit, die allerdings unvollendet bleibt. Mit der Dokumentation aller in Augsburg erhaltenen Römerinschriften und einer ebenso kundig zusammengetragenen wie kommentierten Sammlung römischer Münzen und Steindenkmäler begründet er die wissenschaftliche Altertumsforschung in Bayern. zusammen.
Berühmt unter den Zeitgenossen ist Konrad Peutinger auch als Besitzer der seinerzeit größten Bibliothek nördlich der Alpen. Sie umfasst juristische Fachliteratur, Werke der antiken Literatur und humanistische Schriften aus verschiedensten Wissensgebieten, darunter vor allem geschichtliche, theologische, philosophische, medizinische und kosmologische Titel. Konrad Peutinger stirbt am 28. Dezember 1547 in Augsburg.
Matthäus Rader (1561 -1634): Lehrer, Impressario, Historiker
Stilgeschichtlich gehört der 1561 in Südtirol geborene Matthäus Rader bereits in die Zeit des Frühbarocks. Trotz seiner späten Geburt ist er tief durch die humanistische Gelehrsamkeit geprägt und ein Beispiel dafür, wie sich der Humanismus bei aller Konstanz der tragenden Ideen weiterentwickelt. Deutlich wird an Raders Person und Wirken, dass es statt harter, idealtypischer Epochengrenzen nur fließende Epochenübergänge mit erheblichen zeitlichen sowie inhaltlichen Verschiebungen und Verflechtungen gibt.
Nach dem Besuch einer Lateinschule in Innsbruck tritt der Sohn eines Bäckers 1581 in den Jesuitenorden ein. Er wird Erzieher und Lehrer am Jesuitenkolleg Sankt Salvator in Augsburg und beginnt, eigene literarische Arbeiten zu publizieren. Seit etwa 1600 gibt er aus griechischen und lateinischen Quellen gezogene Sammlung von Heiligenlegenden heraus, die das Interesse des herzoglichen Hofs auf ihn lenken. 1612 wird Rader auf Betreiben des Herzogs ans Münchner Jesuitenkolleg versetzt, wo bis zu seinem Tod als Professor für Humaniora und Rhetorik wirkt.
Ausgesprochen humanistisch ist nicht zuletzt Raders starkes pädagogisches Engagement. Er entwickelt die Bildungsgrundsätze des Humanismus für das jesuitische Schul- und Universitätswesen weiter, fördert lateinische Disputationen, Theateraufführungen und Dichterwettbewerbe, damit sich die Schüler spielerisch in rhetorischen und literarischen Disziplinen üben. Eine Reihe wichtiger Literaten und Prediger wie Georg Stengel, Jeremias Drexel oder der Dramatiker Bidermann belegen den Erfolg der Methode.
Rader bildet jedoch nicht nur Literaten heran, er tritt auch selbst mit mehreren Theaterarbeiten hervor. Sein Monumentalwerk "Triumph des Heiligen Erzengels Michael" ist zugleich eine Pionierleistung des Jesuitendramas und ein Triumph der Gegenreformation in Bayern.
Sein bis heute bekanntes Hauptwerk erscheint zwischen 1615 und 1628 in drei Bänden unter dem Titel "Bavaria sancta et pia". Die prachtvoll illustrierten Bücher sind ein Auftragswerk Herzog Maximilians I. Sie enthalten aus verschiedensten Quellen zusammengetragene Lebensbilder aller Seligen und Heiligen Bayerns von den Tagen der ersten Herzöge bis zur Gegenwart. Der Zweck des Werks liegt auf der Hand: Propaganda für das Haus Wittelsbach. Die versammelten Viten sollen zum einen die Vorreiterrolle Bayerns bei der Christianisierung Deutschlands beweisen, zum andern das historische Gewicht des Herzogtums betonen und vor allem klarstellen, dass Bayern seine Rolle als Führer der Gegenreformation noch vor dem Haus Habsburg zu Recht beansprucht. Matthäus Rader, der mit diesem Werk die Brücke zwischen Spätrenaissance und Frühbarock schlägt, stirbt am 22. Dezember 1634 in München.
An Stelle eines Ehrentempels
Die Ruhmeshalle der bayerischen Humanisten ist auch über die genannten Beispiele hinaus bestens bestückt. Sie umfasst nicht nur Philologen, sondern Mediziner, Astronomen, Mechaniker, Botaniker, Kartographen, Historiker, Landvermesser, Werkzeugbauer, Drucker. Ihre heute meist vergessenen Pionierleistungen stoßen das Tor zur Neuzeit weit auf.
Johannes Aventinus (eigentlich Johann Georg Turmair, 1477 - 1534) macht sich vor allem als Historiker und Hofhistoriograph einen Namen. Er verfasst mit den Annales ducum Boiariae eine Geschichte Bayerns, die sich auf ein intensives, kritisches, breitgestreutes Quellen- und Grundlagenstudium stützt. Damit entwickelt er eine Methode, die bis heute nicht überholt ist.
Willibald Pirckheimer (1470 - 1530) ist als Übersetzer, Künstler, Kunstsammler und Mäzen eine Zentralfigur des Humanismus in Nürnberg. Er setzt sich vor allem für den Durchbruch humanistischer Ideen im Schul- und Universitätswesen ein. Als Mentor der städtischen Lateinschulen fördert er die Lektüre griechischer und römischer Autoren sowie das Studium der Geographie und Astronomie.
Regiomontanus (eigentlich Johannes Müller, 1436 - 1476) baut astronomische Geräte und entwirft seinerzeit unübertroffen genaue Sternenlaufkarten (Epheriden) als Navigationshilfe für Seefahrer.
Martin Behaim (1459 - 1507), ein gebürtiger Nürnberger, wirkt als Berater und Mathematiker am portugiesischen Königshof, nimmt an einer Seereise entlang der westafrikanischen Küste teil, kehrt 1490 nach Nürnberg zurück und leitet die Anfertigung des ersten Globus ("Erdapfel").
Erhard Etzlaub (1460 - 1532) erstellt auf der Grundlage zahlloser Einzelinformationen mehrere bedeutende Kartenwerke (darunter eine Karte mit Wegen nach Rom und eine Landstraßenkarte des Heiligen Römischen Reichs). Darüber hinaus produziert er in ganz Europa begehrte Reise-Sonnenuhren mit Kompassfunktion.
Philipp Appian (eigentlich Bienewitz, 1531 - 1589) nimmt die erste Landvermessung Bayerns vor. Um Bayern kartographisch zu erfassen, bereist er sieben Sommer lang Ober- und Niederbayern, die Oberpfalz, das Erzbistum und Hochstift Salzburg und das Bistum Eichstätt. Das Produkt seiner Vermessung ist eine 36 Quadratmeter große Landeskarte im Maßstab 1:45.000.
Johannes Cochlaeus (eigentlich Johannes Dobeneck, 1479 - 1552) verfasst wichtige Lehrbücher für den Latein-, Musik-, Geographie- und Geschichtsunterricht. Von herausragender Bedeutung ist eine ebenfalls für die Schule geschriebene "Kurze Beschreibung Deutschlands (Brevis Germaniae descriptio). Das Lehrbuch ist die erste historisch-geographische Darstellung Deutschlands.
Leonhart Fuchs (1501 - 1566) führt botanische Exkursionen durch, legt wissenschaftliche und pharmazeutische Gärten an und verfasst einflussreiche pharmakologische Werke, die ihn zum "Vater der Kräuterkunde" machen. Ab 1542 erscheinen die ursprünglich lateinisch geschriebenen Pflanzen- und Arzneikunden auch in deutscher Sprache.
Johannes Böhm (1485 - 1534) veröffentlich 1520 in Augsburg ein dreibändiges Werk, das die Völker Afrikas, Asiens und Europas sowie die deutschen Stämme beschreibt (Omnium gentium mores, leges et ritus). Neben seinen ethnographischen Studien beschäftigt sich Böhm mit dem Volksrecht des Frühmittelalters und publiziert einen lateinischen Gedichtband (Liber heroicus).