Vergiftet am Arbeitsplatz um 1770 Frankreichs Beispiel macht Schule
Die monarchistische Staatsform, wie sie König Ludwig XIV. von Frankreich vorexerziert, findet begeisterte Nachahmer in ganz Europa. Der Vorstellung, dass der Wille des Herrschers, in dem sich der Staat verkörpert, das gesamte Leben der Untertanen lenkt, kann auch Lothar Franz von Schönborn, Kurfürst von Mainz und Fürstbischof von Bamberg, einiges abgewinnen. Er zentralisiert seinen Machtbereich und reformiert Verwaltung, Finanzwesen und Justiz. Als Merkantilist strebt Lothar Franz von Schönborn nach ökonomischer Einheit. Der Staat fördert gezielt bestimmte Wirtschaftszweige und tritt auch als Unternehmer auf.
So gelangt die Glasproduktion, die seit dem Mittelalter im Spessart betrieben wird, ins Visier der Mainzer Obrigkeit. Grünliches Spessartglas wird um 1700 überwiegend in so genannten Waldglashütten hergestellt. Betreiber sind Privatunternehmer, die mit ihren Aktivitäten Arbeitskräfte anlocken und mitten im Wald Siedlungsinseln schaffen. Rohstoffe wie Holz (Pottasche, Brennstoff), Quarzsand (Schmelze) und Ton (Schmelztiegel) und sind in der Region vorhanden und dank der Nähe der Hütten zu wichtigen Verkehrswegen und Handelsrouten findet das "Waldglas" Abnehmer vor allem im Rhein-Main-Gebiet.
Dem Kurfürsten sind die kleinen Waldglashütten ein Dorn im Auge. Sie entsprechen nicht den Qualitätsansprüchen und dem Prestigebedürfnis eines Herrschers, der möglichst hochwertige Ware ins Ausland exportieren möchte. Lothar Franz von Schönborn setzt auf Staatsbetriebe, die in Lohr, Rechtenbach und Weibersbrunn aufgebaut werden und mit hoher Produktivität arbeiten sollen. Damit droht eine Verknappung der Rohstoffe. Mainz will Rohstoffengpässe vermeiden und zwingt die Waldglashütten nach und nach die Produktion einzustellen.
Die Kurmainzische Spiegelmanufaktur
Finanziell unterstützt vom Kurfürsten übernehmen drei französische Glasmacher - Gulliaume Brument, Pierre Bernard de St. Pierre und Louis Truffé - 1698 die Leitung einer privaten Hohlglashütte in Rechtenbach, die seit zwei Jahren leer steht. Dank ihres Knowhows gelingt es, hochwertiges Flachglas zu fertigen. Das Glas wird von Rechtenbach nach Lohr am Main transportiert, wo es in einem 1699 neu errichteten Gebäude veredelt und verspiegelt wird.
1704 verstaatlicht der Kurfürst die Werke in Rechtenbach und Lohr. Den Posten des Geschäftsführers der Kurmainzischen Spiegelmanufaktur erhält Guillaume Brumont. 1706 wird dem Unternehmen eine weitere Manufaktur in Weibersbronn, spezialisiert auf hochwertiges "Mondglas", angegliedert. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Spiegel aus dem Spessart schmücken bald Zimmer in Schlössern und Prachtbauten, auch die Hersteller von Kleinmöbeln wie Schatullen, Schränkchen oder Kommoden schätzen sie. Die Kurmainzische Spiegelmanufaktur vermarktet ihre Produkte europaweit, sogar in Indien sowie in Mittel- und Südamerika finden sie Abnehmer.
Staatsbetrieb in Bedrängnis
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts taumelt die Kurmainzische Spiegelmanufaktur in die Krise. Der Staatsbetrieb mit seiner starren Organisation bleibt unflexibel als sich der Zeitgeschmack wandelt und immer weniger Kunden die Lohr-typischen Spiegel mit Rokoko-Dekor ordern. Als im Zuge der Französischen Revolution soziale Unruhen ausbrechen und die Arbeiter aufmüpfig werden, reagiert die Betriebsleitung mit übermäßiger Härte. Und zu allem Überfluss erschweren die Koalitionskriege ab 1792 den Spiegelexport. Um die Jahrhundertwende werden die Firmen in Rechtenbach und Lohr geschlossen. Im privatisierten Weibersbrunn läuft die Glasproduktion bis Mitte des 19. Jahrhunderts weiter.