Vergiftet am Arbeitsplatz um 1770 Merkantilismus im Reich
Anders als im zentralistischen Frankreich gibt es im Reich keine umfängliche Wirtschaftspolitik. Versuche des Kaisers, ins Wirtschaftsgeschehen einzugreifen, werden zumeist abgeblockt. Hier ein Beispiel aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, als Handel und Handwerk infolge des jahrzehntelangen Gemetzels schwer angeschlagen sind. Mangels Arbeitskräften und konkurrenzfähiger Produkte ist die Exportfähigkeit gering. Vor allem Luxuswaren müssen - gegen Barzahlung - aus Frankreich eingeführt werden. Kaiser Leopold I. (1640-1705) versucht sich als Protektionist und erlässt ein Importverbot für französische Waren. In seinem Edikt vom 5. Mai 1676 werden die betroffenen Produkte penibel aufgeführt. Ganze drei Jahre halten sich Städte und Territorien an die Vorgaben, dann wird das Gesetz des Kaisers nicht mehr angewandt.
Die Fürsten bekennen sich zwar zum ökonomischen Staatsaktivismus, ziehen es aber vor, die wirtschaftlichen Kräfte in ihren Machtbereichen nach eigenem Gutdünken zu wecken und zu fördern.
Der Kameralismus
Der deutsche Merkantilismus wird auch als Kameralismus bezeichnet. Der Begriff leitet sich her von der camera oder Kammer, der für den jeweiligen fürstlichen Haushalt zuständigen Behörde. Wie in Frankreich zielt der Kameralismus in erster Linie auf die Mehrung des fürstlichen Schatzes ab.
Während die praktische Wirtschaftspolitik des Kameralismus weitgehend dem Colbertismus gleicht, werden daneben verwaltungstechnische Verfahrensgrundsätze (kameralistische Rechnungsführung) aufgestellt und systematisiert. Führungspositionen in der Verwaltung besetzen die Machthaber bevorzugt mit Juristen, die nicht selten bürgerlicher Herkunft sind oder aus dem Ausland geholt werden. Diese Amtsinhaber sind von lokalen Eliten unabhängig, aber auf Wohl und Wehe mit dem Fürsten verbunden. Sie reformieren beispielsweise das Münzwesen und drängen mit neuen Handwerkerordnungen den Einfluss der Zünfte zurück. Kameralisten sind Privatwirte und Volkswirte zugleich - sie arbeiten für die Wohlfahrt des Herrschers, die mit der Wohlfahrt des Staates gleichzusetzen ist.
Ein Sonderzug des deutschen Merkantilismus ist zudem der starke Fokus auf ein vermehrtes Bevölkerungswachstum ("Peuplierung") nach dem Kahlschlag des Dreißigjährigen Krieges, der die Bevölkerung dezimiert und die Wirtschaft entscheidend geschwächt hat. Eine aktiv betriebene Einwanderungspolitik soll diesen Mangel ausgleichen.
Vorreiter Brandenburg
Der merkantilistische Musterschüler in Deutschland ist der brandenburgische Kurstaat, in dem die Wirtschaft extrem reglementiert und gelenkt ist. Brandenburg betreibt eine gezielte Zuwanderungspolitik und nimmt in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zahlreiche Hugenotten (französische Glaubensflüchtlinge) auf. Eine Besonderheit Brandenburgs ist die Ausrichtung der Wirtschaft auf den Ausbau des Militärapparats.
Merkantilismus in Bayern
Auch Bayern macht vor Dirigismus und Protektionismus nicht Halt. Das Kurfürstentum ist um 1700 ein kleines, dünn besiedeltes Land mit etwa 700.000 Einwohnern. Einwanderung findet kaum statt. Mit verschiedenen Maßnahmen versuchten die Herrscher die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Zoll- und Postwesen werden reformiert, mit Österreich wird 1753 ein Münzvertrag zur Währungsharmonisierung geschlossen. Mit den geistlichen Enklaven vereinbaren die Kurfürsten die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets.
Mehr als 20 Fayence- und Porzellanmanufakturen (zum Beispiel Nymphenburg) sowie einige Glas-, Woll- und Baumwollmanufakturen werden gegründet, einige mit Monopolen ausgestattet. Im Reichsvergleich ist das bescheiden. Zur Rohstoffsicherung und zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit gegen ausländische Produkte verbietet Bayern die Ausfuhr von Wolle, Hanf und Flachs.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der merkantilistischen Aktivitäten, die bis ins späte 18. Jahrhundert anhalten, ist gering. Viele Manufakturen scheitern, "Regierungsschulmeisterei" behindert ihre Entfaltung. Bayerns Handel entwickelt sich kaum weiter und bleibt ein Kleinhandel. Die Ausfuhrverbote zeitigen eine negative Wirkung: Unter dem Exportverbot für Wolle leidet die Schafzucht und mit dem Exportverbot für Hanf und Flachs geht der Anbau deutlich zurück. Frustriert wandern viele Bayern trotz obrigkeitlicher Verbote im späten 18. Jahrhundert nach Russland, Ungarn, Spanien und Amerika aus.