Alles auf Anfang? Personen und Begriffe
Personen | Werdegang |
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Karl Meitinger
(1882-1970) | Der Münchner Architekt und Stadtbaurat tritt - wie viele deutsche Beamte, die ihre Karriere absichern möchten - in den späten 1930er Jahren in die NSDAP ein. Die Nationalsozialisten wünschen einen Umbau der "Hauptstadt der Bewegung" in großem Stil. Meitinger gehört zu den Planern und entwirft unter anderem ein Ringstraßensystem zur Bewältigung des Autoverkehrs. Nach dem Ende des NS-Regimes kann sich der - laut Entnazifizierungsbescheid - "Mitläufer" Meitinger zunächst im Amt halten. Bereits im Sommer 1945 präsentiert er den US-Besatzern seine Pläne zum Wiederaufbau des im Bombenkrieg zerstörten Münchens. Mit seiner Forderung, die Innenstadt neu, aber "müchnerisch" nach alten Strukturen zu errichten, findet er Gehör bei den Bürgermeistern Scharnagl und Wimmer. Nachdem er die Weichen für die Stadtgestaltung gestellt hat, wird Meitinger 1946 in den Ruhestand verabschiedet. |
Karl Scharnagl
(1881-1963) | Der Bäckersohn engagiert sich in der Bayerischen Volkspartei, wird Landtagsabgeordneter und sitzt im Münchner Stadtrat. Mitte der 1920er Jahre übernimmt er das Amt des Münchner Oberbürgermeisters, aus dem ihn 1933 die Nationalsozialisten verdrängen. Wegen seiner Kontakte zu dem Hitler-Gegner Carl Goerdeler wird er nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet und ins KZ Dachau gesperrt. Im Mai 1945 von der amerikanischen Militärregierung als Oberbürgermeister wieder eingesetzt, gewinnt Scharnagl, ein Mitbegründer der CSU, 1946 die Stadtratswahlen. Scharnagl startet die Aufräumarbeiten in München, vom "Wiederauferstehen" Münchens, wie es Karl Meitinger vorschwebt, hält er viel. 1948 erleidet er eine Wahlniederlage und muss als Stadtoberhaupt abtreten. |
Thomas Wimmer
(1887-1964) | Der Sozialdemokrat, Spitzname "Dammerl", wird zu Zeiten des "Dritten Reichs" mehrmals verhaftet, von der Gestapo verhört und 1944 im KZ Dachau inhaftiert. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist er erneut in der SPD aktiv und übernimmt von 1948 bis 1960 den Posten des Münchner Oberbürgermeisters. Mit der spektakulären Aufräumaktion "Rama dama" (Oktober 1949) erlangt er Ruhm und ist seither im kollektiven Gedächtnis Münchens fest verankert. Wimmer, der das Image des bodenständig-bürgernahen "Sozis" pflegt und sich das O'zapft is-Ritual, den Anstich des ersten Bierfasses auf dem Oktoberfest ausdenkt, lehnt städtebauliche Experimente ab und trägt als Rekonstruktionsbefürworter entscheidend dazu bei, das historische Stadtbild Münchens wiederherzustellen. |
Begriffe | Erklärung |
Autogerechte Stadt | Im Jahr 1908 leitet der amerikanische Autopionier Henry Ford mit der Produktion des legendären T-Modells ("Tin Lizzy") die Massenmotorisierung ein. Ab den frühen 1920er Jahren läuft die Fließbandfertigung von Autos in den USA auf vollen Touren. Städte wie Los Angeles reagieren auf den Siegeszug des Autos mit dem Bau breiter Verkehrsschneisen. Die Idee Fords wird auch in Europa aufgegriffen, in Deutschland präsentiert sich Adolf Hitler als begeisterter Automobilist. Während der NS-Zeit beschäftigen sich Mitarbeiter von Hitlers Lieblingsarchitekten Albert Speer mit der künftigen Verkehrsentwicklung und in der Nachkriegszeit ist die "autogerechte" Gestaltung von Städten, beispielsweise durch den Bau von Stadtautobahnen, ein wichtiges Thema. In München gibt es sogar den Plan, eine Hochstraße über den Viktualienmarkt zu führen, der glücklicherweise verworfen wird. In der bayerischen Landeshauptstadt bewährt sich schließlich ein Kompromisskurs: Einerseits akzeptiert man die Ansprüche des Autos, andererseits kanalisiert man den Verkehr mithilfe eines Ringstraßensystems und schützt damit die Altstadt. |
"Bockerlbahn" | Zu den wichtigsten Aufräumarbeiten im zerstörten München gehört ab 1945 der Abtransport von mehr als fünf Millionen Kubikmetern Gebäudeschutt. Dazu werden Schmalspurgleise für einen Lastenzug verlegt. Fortan rumpelt die "Bockerlbahn", eine Kleinbahn mit Dampflok und Kipploren, durch München. In den Trümmerjahren Münchens bewährt sich die "Bockerlbahn" als Transportmittel und bringt Geröll zu drei großen Halden an der Peripherie der Stadt. |
Bombenkrieg | Angriffe der deutschen Luftwaffe auf Warschau (1939), Rotterdam (1940), London (1940) und Belgrad (1941) läuten den Bombenkrieg gegen Militär- und Industrieanlagen, die Verkehrswege sowie die Zivilbevölkerung betroffener Länder ein. Im Frühjahr 1942 schlägt das britische Bomber Command zurück und schockiert Volk und Führung des "Dritten Reichs" mit der Zerstörung Lübecks und Rostocks. Der erste Tausend-Bomber-Angriff richtet sich im Mai 1942 gegen Köln. Der britische Luftmarschall Arthur Harris setzt große Hoffnungen auf das moral bombing, den Versuch, die Deutschen kriegsmüde zu bombardieren. Ende 1942 stationieren die USA ihre 8. Luftflotte in Großbritannien und vereinbaren mit den Briten eine Arbeitsteilung: das round-the-clock-bombing. Tagsüber fliegen die Amerikaner Präzisionsangriffe beispielsweise auf Rüstungsbetriebe, nachts unternehmen die Engländer Flächenbombardements. Nach der Landung der Alliierten 1943 in Italien erfolgen Einflüge auch von Süden her, München bekommt das schmerzhaft zu spüren. Die deutsche Luftabwehr kann zunächst Erfolge erzielen, ist jedoch ab Anfang 1944 heillos überfordert. Hitlers viel beschworene "Festung Europa" hat im letzten Kriegsjahr kein Dach mehr. In Deutschland fordert der Bombenkrieg mehr als 600.000 Tote und über 900.000 Verletzte, 3,37 Millionen Wohnungen werden zerstört. |
Fassadenarchitektur | Im Zuge des Wiederaufbaus der Münchner Innenstadt wird die Schauseite der Häuser beispielsweise in der Ludwigstraße und der Maximilianstraße historisch-münchnerisch rekonstruiert. Hinter den Fassaden befinden sich Neubauten. Kritiker der Fassadenarchitektur sprechen deshalb von einer Münchner Historienkulisse. |
Psychohygiene | Die Psychohygiene ist die Lehre vom Schutz und dem Erlangen der psychischen Gesundheit. Die Rekonstruktion der Altstadt Münchens nach dem Zweiten Weltkrieg ist, wie wir heute wissen, für die Menschen gerade aus psychohygienischer Sicht bedeutsam. Zahlreiche Münchner sind nach den Bombenangriffen schwer traumatisiert, die Wiederherstellung der Stadt - und damit die Rückkehr der Erinnerungsfähigkeit - helfen bei der Bewältigung der Krise. |
"Rama dama" | Kaum hat Thomas Wimmer (SPD) das Amt des Münchner Oberbürgermeisters angetreten, versucht er 1949, im Jahr nach der Währungsreform, Aufbruchstimmung zu erzeugen. Die Münchner, so sein Appell, sollen zum Spaten greifen, Trümmer beseitigen, gemeinsam anpacken und ihre Stadt von der Last der Vergangenheit befreien. Zwar sind längst Baufirmen mit den Aufräumarbeiten beschäftigt, doch Wimmer hofft mit der Aktion "Rama dama" am 29. Oktober 1949 auf einen psychologischen Effekt. Etwa 7.000 Münchnerinnen und Münchner nehmen an der Aktion teil und beseitigen 15.000 Kubikmeter Schutt - ein eher mäßiger Erfolg, doch "Rama dama" bleibt als symbolischer Akt bis heute in München unvergessen. |