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Das gierige Hirn und der Zucker Egotrip

Süße Droge Das gierige Hirn und der Zucker Egotrip

Stand: 30.06.2017

Schriftzug Brain Food | Bild: colourbox.com

Der Zuckerstoffwechsel ist ein fein austariertes System mit vielen Akteuren: Magen, Darm und Leber dienen als Werkstätten und Umschlagplätze, Enzyme und Hormone fungieren als Spalt- und Aufbauwerkzeuge, für die Kommunikation ist das Nervensystem zuständig, den Transport übernimmt der Blutkreislauf. Alles super geregelt, fehlt nur noch eine Instanz, die das hochkomplexe Gefüge steuert. Diese Leitstelle sitzt ganz oben, in der Chefetage des Körpers, im Gehirn. Hier laufen alle Fäden zusammen, hier werden die Prozesse angestoßen und überwacht, Messwerte analysiert und Zuckerkontingente angewiesen.

Glucosevielfraß auf Beschaffungstour

Aber das Gehirn ist nicht die Schaltstelle der gesamten Glucoseliefer- und Versorgungskette. Sie ist auch ihr eigensüchtiger End- und Hauptverbraucher, ein echter Zuckervielfraß. Kein anderes Organ verbraucht mehr Energie. Obwohl es mit einem Durchschnittsgewicht von rund 1.400 Gramm nur etwa zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, konsumiert das Gehirn im Normalbetrieb bis zu 140 Gramm Glucose täglich. Das entspricht etwa 75 Prozent der in allen Körperzellen verbrauchten Glucosemenge. In Stresssituationen schnellt der Zuckerbedarf sogar bis auf 95 Prozent des Gesamtverbrauchs hoch.

Der ganze Zucker zu mir, sofort!

Um seine Versorgung zu sichern, agiert das Gehirn wie ein egomaner Despot. Es schanzt sich den Löwenanteil der insgesamt verfügbaren Zuckermenge ohne jeden Skrupel selbst zu. Dazu nutzt es einen Mechanismus, den der Lübecker Medizinprofessor Achim Peters 1998 erstmals als Brain-Pull beschrieben und seither immer genauer erforscht hat. Das von ihm entdeckte Pull-Prinzip stellt die bisherigen Funktionsmodelle der Zuckerverteilung buchstäblich auf den Kopf. Peters und sein Forschungsteam fanden heraus, dass sich das Gehirn nicht mit einer passiven Glucosezuteilung abspeisen lässt. Es holt sich, was es braucht. Das Hirn löst einen Pull aus und zieht die akut nötige Glucosemenge aktiv aus den Energiespeichern in der Leber, in den Muskeln und im Blut ab.

Bedarfsdeckung auf Abruf

Was wie ein ruchloser Egotrip aussieht, ist schiere Notwendigkeit: Das Gehirn kann keine Energiereserven speichern und ist auf stetig frisch zugeführte Glucose angewiesen. Schon kleinste Unterbrechungen der zerebralen Zuckerbelieferung haben dramatische Folgen: Nach zehn Sekunden kommt es zu Funktionsausfällen, danach drohen Ohnmacht und Koma, bereits nach wenigen Minuten treten irreversible Hirnschäden ein.

Der Brain-Pull und seine schnelle Eingreiftruppe

Das Gehirn kann also gar nicht anders: Es muss im Interesse des Gesamtsystems unbedingt seine unterbrechungsfreie und bedarfsgerechte Vorzugsversorgung mit Zucker aufrechterhalten. Dafür sorgt der Brain-Pull. Ausgelöst und geregelt wird der aktive Glucoseanfordungsmechanismus mithilfe einer raffinierten, hormongesteuerten Dreifachstrategie. Sinkt der Glucosespiegel des Gehirns, regt es zunächst die Ausschüttung der Stresshormone Cortisol und Adrenalin an. Die Agenten des Stresssystems blockieren unverzüglich die gesamte Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse. Aufgrund der Insulinblockade können Organe, Muskeln und Zellen keine Glucose mehr aufnehmen. Gleichzeitig wird die Leber durch eine erhöhte Glucagonausschüttung angeregt, vermehrt eingelagerten Speicherzucker (Glykogen) freizusetzen. Schließlich wird noch parallel dazu der Blutfluss zum Kopf verstärkt.

Notprogramm und Normalbetrieb

Damit läuft die Notversorgung auf vollen Touren. Die gesamte vermehrt produzierte und angelieferte Glucose steht nun allein dem Zentralorgan zur Verfügung. Sobald die zerebralen Glucosesensoren wieder einen ausreichenden Zuckerpegel registrieren, deaktiviert das Gehirn den Brain-Pull und dämpft das Stresssystem. Die Cortisol- und Adrenalinkonzentration sinkt, die Bauchspeicheldrüse produziert wieder ungebremst Insulin, die übrigen Körperorgane und Zellen können wieder Glucose aufnehmen und verbrennen.

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