Süße Droge Der Zuckerkreislauf und das Gleichgewicht
Aller Zucker, den wir brauchen, steckt in unserer Nahrung, in Brot, Nudeln, Obst, Fleisch, Fisch, Käse. Und zwar in Form langkettiger, komplexer Kohlenhydrate, die wir nicht direkt verwerten können. Dazu müssen sie erst durch Kauen, durch Speichel, Magensäfte und Enzyme aufgeschlossen werden. Die mechanischen und chemischen Verdauungshelfer spalten den Speisebrei in einem mehrstufigen Prozess zu Glucose auf. Der so gewonnene Einfachzucker wird von der Darmschleimhaut aufgenommen, in die Blutbahn geschleust und zuerst in die Leber transportiert.
Die Herrin des Blutzuckerspiegels
Die Leber als größte Drüse des menschlichen Körpers ist die erste und wichtigste Verteilstation für alle Stoffe, die aus dem Darm in die Blutbahn gelangen. Hier werden sie entweder sofort verwertet, gespeichert, umgewandelt oder abgebaut. Ein Kerngeschäft der Leber ist die Kontrolle des Blutzuckerspiegels. Damit alle Organe, Muskeln und vor allem das Gehirn einwandfrei funktionieren, muss stets die aktuell nötige Menge an Traubenzucker (Glucose) im Blut verfügbar sein und in die Zellen gelangen. Dafür sorgt die Leber. Bei der Herstellung und Aufrechterhaltung eines möglichst ausgeglichen Zuckergehalts im Blut setzt sie zahlreiche chemische Helfer ein. Zu den wichtigsten gehören die von der Bauchspeicheldrüse produzierten Hormone Insulin und Glucagon.
Tür auf, Tür zu - Botenstoffe bei der Arbeit
Das Insulin öffnet die Zellen des Muskel- und Fettgewebes für die im Blut anströmende Glucose. Ohne die Vermittlung des Botenstoffs steht der Zucker quasi vor verschlossenen Türen. Er kann nicht in die Zellen eingeschleust werden und sammelt sich unverbraucht im Blutstrom an. Zusätzlich unterstützt das Insulin die Leber auch bei der Einlagerung überschüssiger Glucose. Weil das Hormon also dafür sorgt, dass Zucker dem Blutstrom entzogen, von den Zellen verwertet oder eingelagert wird, senkt es den Glucosespiegel. Das ebenfalls in der Bauchspeicheldrüse erzeugte Glucagon hat genau die gegenteilige Wirkung: Es öffnet die Energiespeicher der Leber- oder Muskelzellen und sorgt dafür, dass eingelagerter Zucker ins Blut gelangt. Diese "Krisenintervention" ist nötig, wenn der Körper rasch mehr Energie und damit mehr Glucose braucht. In solchen Belastungsphasen mobilisiert Glucagon die nötigen Speicherreserven und erhöht so den Blutzuckerspiegel.
Zu viel Zucker ist schädlich, zu wenig auch
Das Wechselspiel der antagonistischen Botenstoffe ist im Normalfall fein austariert: Es hält den Blutzuckerspiegel innerhalb relativ enger Grenzen auf einem stabilen Niveau und stellt sicher, dass der Körper stets die akut erforderliche Glucosemenge erhält. Gerät der Regelkreis aus seiner Balance, drohen dramatische Folgen. Sinkt der Blutzuckerspiegel zu stark, reagiert der Körper mit Schweißausbrüchen, Zittern, Herzklopfen, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwäche. Ist auch das Gehirn unterversorgt, kommt es zu Seh- und Sprachstörungen, Schwindel, extremer Reizbarkeit bis hin zu Krämpfen und Bewusstlosigkeit. Nicht minder gefährlich ist ein stark überhöhter Blutzuckerspiegel. Er kann lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisungen bis hin zum "diabetischen Koma" auslösen.
Volkskrankheit Diabetes
Ist der Blutzuckerspiegel nicht nur phasenweise, sondern dauerhaft überhöht, kommt es zum Diabetes mellitus, zur Zuckerkrankheit. Sie entsteht, wenn der Körper nicht mehr genügend Insulin produziert (Insulinmangel) oder wenn das Insulin in den Zellen nicht mehr wirkt (Insulinresistenz). Beim Diabetes-Typ-1 gerät die Insulinproduktion ins Stocken, schließlich versiegt sie vollständig. Die Konsequenzen sind dramatisch: Ohne hormonelle Insulinunterstützung können die Zellen keine oder nur noch deutlich weniger Glucose aufnehmen. Weil der Zucker jedoch ständig nachproduziert wird, häuft er sich unverbraucht im Blutstrom an. Der Diabetes-Typ-2 ist nicht durch einen Insulinmangel, sondern durch eine Insulinunempfindlichkeit charakterisiert. Auslöser ist ein biochemisches Verständigungsproblem: Die Zelle "versteht" das Insulin nicht mehr. Daher kann der Botenstoff die Zellmembran nicht dazu "überreden", Zucker aufzunehmen. Weil auch in diesem Fall die Glucose nicht mehr auseichend verbraucht, aber ständig nachgebildet wird, steigt der Blutzuckerspiegel an. In beiden Fällen ist zu viel Zucker im Blut, der das Gefäß- und Nervensystem massiv schädigt und schließlich zerstört.