Altai: Land der Sehnsucht Das Thema
Ein Bergland von den Ausmaßen Mitteleuropas, eine Nische zwischen den Welten. Der mächtigste Gipfel des Altais, Ak-Sümer, russisch Belucha im Hoch-Altai, markiert mit seinen 4.505 Metern Höhe den Kreuzpunkt der Grenzen von vier Ländern aus vier Himmelsrichtungen: im Osten die mongolische Hochebene bis zur Wüste Gobi, im Süden China und Tibet, im Westen die Steppen Kasachstans. Der nördliche Altai gehört zum heutigen Russland, durch dessen sibirische Tiefebene sich die gewaltigen Flüsse Irtysch, Ob und Jennessey ihre langen Wege zum nördlichen Eismeer suchen.
Seit 1991, dem Jahr der Auflösung der Sowjetunion, wird auch dieses lange verschlossenen Stück Erde wieder zugänglich. Die Republik Altai, geteilt in den industrialisierten Vor-Altai mit der Hauptstadt Barnaul und den Hoch-Altai mit der Bezirksstadt Gorno-Altaisk, Bergaltai gehört heute zur Russischen Föderation. Die Republik verwaltet sich aber autonom und man besinnt sich wieder der eigenen Geschichte und der alten Traditionen des nomadischen Lebens, des Obertongesangs und des Schamanismus. Verehrer des Landes sprechen von der Schweiz Russlands.
Die Folgen des Zusammenbruchs der UdSSR
Zuerst kamen jedoch die Reformer, wie überall im ehemaligen sowjetischen Einflussbereich. Sie brachten offene Grenzen, vor allem aber brachten sie den Impuls der Privatisierung. Er fand offene Ohren bei der mittleren Bürokratie, die sich Unabhängigkeit von Moskau, die selbstständige Nutzung ihrer reichen Erzvorkommen, Kohle und anderer Naturschätze und eine Anpassung an westliches Lebensniveau erhoffte. Schnell setzte allerdings Ernüchterung ein. Die Privatisierung droht den Prozess, in dessen Verlauf die hässlichen Produkte der Industrialisierung von allen Seiten herangekrochen waren, noch weiter zu beschleunigen: Vom berüchtigten sibirischen Kusbass im Norden, aus den kasachischen Karaganda im Westen haben sich die Kohlegruben im Verlauf der letzten fünfzig Jahre bis nach Barnaul, Rubzowsk und andere Orte im westlichen Vor-Altai vorgefressen; die angrenzende kasachische Steppe wurde von den Sowjets, die Wüsten Gobi und Takla Makan von der Volksrepublik China in atomares Versuchsgelände verwandelt. Jetzt drohen Staudammprojekte und neue Verkehrswege, die den Altai direkt mit China verbinden, die Ökologie der Berge zu zerstören.
Den Reformern folgten Forscher und Forscherinnen
Seit zumindest der ehemalige sowjetische Teil, also außer dem Altai selbst auch Kasachstan und die von der Sowjetunion quasi besetzte Mongolei, wieder frei zugänglich ist, erlebt die Altaiforschung einen Aufschwung. Die ersten waren die Sprachforscher. Sie suchen nach dem Schlüssel, der die Sprachen des sibirischasiatischen Raumes verbindet. Paläontologen, Ethnologen, Archäologen und viele andere durchstreifen den Raum in ausgedehnten Expeditionen. Seit der Öffnung des Altai 1991 geschieht das auch mit der Unterstützung der UNESCO, die den Altai zum Weltkulturerbe erklärt hat. Entdeckungen wie die Saurierfriedhöfe in der Wüste Gobi oder die vollkommen erhaltenen Mammuts im Permafrostboden Sibiriens, lassen die Vermutung aufkommen, dass das sibirische Zentralasien uns als sein geografischer Mittelpunkt der Altai einstmals nicht nur für Großtiere und Urpflanzen, sondern auch für Vorläufer der menschlichen Rassen günstige Entwicklungsbedingungen boten.
Andere bemühen sich, den Mythos des Altai zu erfassen, der in seinen Epen, Gesängen und schamanischen Traditionen lebt. Sie beschreiben einen einheitlichen archaischen Kulturraum, der von Korea im Westen bis nach Tibet im Süden und Mittelsibirien im Norden und Westen reicht. Sie sprechen von einer archaischen Megazivilisation, die sich sogar bis nach Amerika ausgebreitet habe.
Der Altai - eine Attraktion
Ökologische Nische, Ethnischer Kessel, Megakultur - damit ist gesagt, was den Raum des Altai heute zur Attraktion werden lässt. Visionäre und Romantiker aus aller Welt suchen im Altai heute eine Alternative zur industrialisierten Welt. Sie begreifen den Altai als globale ökologische Ressource, die in besonderer Weise mit dem Kosmos verbunden sei. Genetiker sehen den Altai sogar als globalen genetischen Fond. Aus der Sicht der Ökologie ist der Altai ein Zukunftsprojekt zur Erhaltung des globalen ökologischen Gleichgewichtes, das die Kooperation aller zivilisierten Nationen, insbesondere aber der euro-asiatischen Völker erfordert.