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Homo ambivalens - Der widersprüchliche Mensch

Ambivalenz Homo ambivalens - Der widersprüchliche Mensch

Stand: 26.10.2016

Eine Violine mit Notenblättern | Bild: picture-alliance/dpa

Entschlossen, klar, immer im Einklang mit uns selbst. So wären wir gerne. Sind wir aber nicht. Wir stecken voll widersprüchlicher Gedanken, Gefühle und Wünsche. Wir bringen es fertig, ein und denselben Menschen zu lieben und zugleich zu hassen. Wir begehren, wollen, ersehnen Dinge oder Geschehnisse, haben aber gleichzeitig Angst vor ihnen und hintertreiben ihre Erfüllung. Widersprüchlich ist auch unser Denken: Wir fordern Kriegseinsätze aus humanitären Gründen und verurteilen uns gleichzeitig dafür, weil wir überzeugte Pazifisten sind.

Weltformel und kosmisches Prinzip

Und warum? Weil wir so sind. Weil das unverbundene Nebeneinander gegensätzlicher Gefühle, Gedanken und Gelüste ein Teil unseres Wesens ist. Weil wir eben nicht nur homo sapiens, sondern mindestens ebenso auch homo ambivalens sind: Der widersprüchliche, vielstimmige, ewig hin und her gerissene Mensch. Die in schroffster Gegensätzlichkeit aufscheinende existenzielle Grundspannung ist eine in allen Kulturen und Religionen gespiegelte Menschheitserfahrung. Ur- und frühgeschichtliche Mythen begreifen Ambivalenz als kosmisches Prinzip, als Wesen der Schöpfung und des Heiligen schlechthin. Das Göttliche ist zwiegesichtig: Es spendet Leben und Fruchtbarkeit, gewährt Schutz und Hilfe. Aber die Götter zürnen auch, strafen, verbreiten Tod und Zerstörung.

Ganz Mensch und ganz Gott

Der Erz-Antagonismus des Ambivalenten ist auch im Christentum präsent. So ist Gott zwar unendlich gut, und trotzdem existiert das Böse. Das schafft einen schmerzlichen Konflikt im Innersten des Gottesbegriffs. Lösbar ist die Ambivalenz nur durch Auslagerung: Die dunklen Schöpfungsaspekte werden von Gott abgespalten und dem Teufel zugeschoben. Erst Jesus schließt die Wunde, denn er ist beides zugleich: Ganz Gott und ganz Mensch, liebend und zornig, sanft und streng, stark und schwach zugleich. In seiner Person ist das Ambivalente integriert. Darum ist er im ursprünglichen Wortsinn "heil", also "vollständig", kann heilen und Heiland sein.

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Schriftzug Love and hate | Bild: colourbox.com zum Thema Ambivalenz Das innere Hin und Her

Klug, wissend, vernunftbegabt. So sehen wir uns selbst. Darum haben wir uns auch den Namen "homo sapiens" gegönnt. Streng genommen müssten wir jedoch "homo sapiens et ambivalens" heißen: Der wissende und widersprüchliche Mensch. [mehr]