Das innere Hin und Her
Psychologie | Gy |
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Klug, wissend, vernunftbegabt. So sehen wir uns selbst. Darum haben wir uns auch den Namen "homo sapiens" gegönnt. Streng genommen müssten wir jedoch "homo sapiens et ambivalens" heißen: Der wissende und widersprüchliche Mensch.
Das Grübeln über Natur und Wesen des Menschen sowie die engeren und weiteren Bedingungen seines Menschseins hat viele Antworten hervorgebracht. Letztlich aber laufen alle Versuche zur Bestimmung der conditio humana auf etwas hinaus, das der Bayerische Volkssänger Weiß Ferdl in einem Stoßseufzer so zusammenfasst: "I woaß net wia ma is!"
Rund 2.000 Jahre früher ist sein römischer Kollege Catull von ähnlichen Problemen geplagt: "Ich hasse und liebe zugleich", beginnt er eines seiner berühmtesten Gedichte. Und fährt dann fort mit dem wahrscheinlich genialsten Achselzucken der Weltliteratur: "Vielleicht fragst du, warum ich das tue. Keine Ahnung! Aber genauso ist es und tut höllisch weh. "
Ach ja, das innere Hin und Her! Das ewige, uralte, immer schon dagewesene, nie verstummende Betriebsgeräusch der menschlichen Existenz! Wir werden sie einfach nicht los, die Widersprüchlichkeit unserer Gefühle, Gedanken und Gelüste. Ambivalenzerfahrungen sind ein natürlicher Teil unserer psychischen Realität.
Und es gibt gute Gründe, ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht einzuräumen. Denn die Fähigkeit, das Nebeneinander gegensätzlicher Emotionen als etwas Normales und Selbstverständliches anzunehmen, hält uns gesund. Wo das misslingt, wo wir unsere innere Mehrstimmigkeit nicht zulassen, verdrängen und unterdrücken, droht Gefahr. Für den Einzelnen, der dadurch einen Teil seiner Lebendigkeit abtötet und seelisch erkrankt. Aber auch für das Große und Ganze, für Kultur, Gesellschaft und Politik: Ambivalenztauglichkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen und den Fortbestand einer offenen, vielstimmigen und toleranten Demokratie.