Humanist und Philologe Das Thema
Mit philologischem Fleiß erarbeitete Erasmus von Rotterdam eine griechisch-lateinische Ausgabe des Neuen Testaments. Er sammelte Manuskripte, verglich Versionen, versah die Texte mit Anmerkungen.
In der Universitätsstadt Loewen (nahe Brüssel) war er beauftragt, ein Dreisprachenkolleg für das Studium von Hebräisch, Griechisch und Latein aufzubauen. Neben dieser Gelehrtentätigkeit verfasste er pädagogische Schriften und Satiren (bekannt und bis heute gelesen ist sein "Lob der Torheit"). Die neue Technik des Buchdrucks machte ihn zu einer in ganz Europa gelesenen Größe, zu einem regelrechten "Bestsellerautor". In seinen geistreichen Satiren nahm er auch die Missstände in Kirche und Theologie aufs Korn und leistete damit entscheidende Vorarbeit für die Reformation.
Einigigkeit, doch keine gemeinsame Sache mit Martin Luther
Dennoch hielt er sich sorgfältig von Martin Luther fern, wollte sich nicht einmischen, nicht Partei ergreifen. In der Sache waren er und Luther sich einig: in ihrer Kritik am Papsttum, an der Sakramentenlehre, am Zeremonien- und Reliquienkult, in ihrer Skepsis der scholastischen Theologie gegenüber. Beide waren gegen den Ablasshandel, denn den Himmel kann man nicht kaufen. In ihren Lösungsvorschlägen aber unterschieden sie sich erheblich: Erasmus wollte alles andere als ein Volkstribun sein. Luther hielt wenig von Humanismus, von den bonae litterae. Die Konfrontation mit Martin Luther, der ihm Feigheit und Inkonsequenz vorwarf, überlagert das Leben und Werk des Erasmus von Rotterdam. Und sie zeigt exemplarisch, wie Erasmus sich jeglicher Parteinahme zu entziehen wusste: "Ich menge mich nicht darein, obwohl ein Bistum für mich bereit läge, falls ich gegen Luther schreiben wollte."
Weltbürger und Meister des Vorbehalts
Erasmus gilt als "Meister des Vorbehalts" und Freiheit war sein höchstes Gut. Vielfach wurde ihm das Bürgerrecht angetragen. Aber welcher Nation sollte er sich zugehörig fühlen? Er, der in Rotterdam geboren wurde, in Paris studiert hatte, der viele Jahre in England und Italien verbrachte, der in Loewen, Basel, Freiburg und zuletzt wieder in Basel lebte. "Ich wünsche, Weltbürger zu sein, allen zu gehören, oder besser noch Nichtbürger bei allen zu sein." Innerhalb der damals bekannten Grenzen war er in der Tat ein "Weltbürger", ein Europäer im besten Wortsinn, der vermitteln und integrieren, nicht polarisieren wollte.
Verfechter des christlichen Humanismus
Auch gab es für ihn keine Kluft zwischen Antike und Christentum, ganz im Gegenteil. Er erkannte eine historische Kontinuität: Das Christentum sollte die hohen sittlichen Ansprüche der Antike umsetzen, in einem Leben von Optimismus, Anpassung und Mäßigung. So entwickelte Erasmus sein Konzept des christlichen Humanismus. Dieser wirkte sich konkret aus in bedingungslosem Pazifismus, weil es den "gerechten Krieg" für Erasmus nicht gab. Seine "Klage des Friedens", die erste große pazifistische Schrift der Neuzeit, erschien 1517. "Dulce bellum inexpertis", so lautet der Titel eines seiner Aufsätze: Den Krieg kann nur loben, wer ihn nicht erfahren hat.