Wenn sich das Kollektiv erinnert Kurze Geschichte des kollektiven Erinnerns
Jäger- und Sammlersippen rufen sich schon früh bestimmte Handlungen, etwa Jagden oder religiöse Betätigungen, durch mündliche Überlieferung ins Gedächtnis. In der Altsteinzeit schaffen sie, wie in der 1940 entdeckten Höhle von Lascaux, faszinierende Abbildungen, die unter anderem Pferde, Stiere, Hirsche, Auerochsen und Fabelwesen zeigen.
Bereits die Neandertaler bestatten ihre Toten und je komplexer die Gesellschaften werden, desto wichtiger sind Grabstätten als Orte der Erinnerung für Zeitgenossen und für die Nachwelt.
Im Laufe der Jahrhunderte bilden Grab- und Denkmäler, Gebäude, Tempel, Paläste und allerlei Erfindungen das kulturelle Erbe von Gesellschaften. Im alten Ägypten beginnt man die Namen und Regierungszeiten von Machthabern auf Stelen zu verewigen, in der griechischen Antike erlebt die Geschichtsschreibung eine Blüte - stets verbunden mit der Gefahr, dass die Historie einer Polis auf Druck der Mächtigen verfälscht wird. Medien (zum Beispiel Inschriften, später Bücher), Kunst und Musik helfen bei der Entwicklung eines kulturellen Gedächtnisses.
Nationenbildung und kollektive Erinnerung
Die Entstehung von Nationalstaaten in der Folge von Aufklärung und Französischer Revolution läutet eine neue Entwicklung ein. Länder versuchen sich von ihren Nachbarn abzugrenzen und geben ihrem kulturellen Gedächtnis schärfere Konturen. Kollektiv geteilte Erinnerungen sollen die Identität formen und den Bürgern Orientierung geben.
Im 19. Jahrhundert ist hierzulande viel vom "deutschen Charakter" die Rede, Rassenkampflehren mit antisemitischer Stoßrichtung fallen nach der Reichsgründung 1871 in der "verspäteten Nation" auf einen fruchtbaren Boden. Von einem völkisch-kulturellen Nationalbewusstsein und der Unterscheidung in "Freund" und "Feind", in "gut" und "böse", erhoffen sich viele Menschen eine klare Weltsicht.
Nach 1945 dauert es einige Zeit, bis das Bewusstsein historischer Schuld (Shoah) ins kollektive Gedächtnis der Deutschen Einzug hält. Doch seit infolge des Niedergangs der DDR 1989/90 die "Berliner Republik" an die Stelle der "Bonner Republik" getreten ist, dominiert trotz aller Querschüsse von Rechtsradikalen das Empfinden, ein "normales Volk" zu sein.