Erkenntnisse der Gedächtnisforschung
Ethik und Philosophie | RS, Gy |
---|
Ohne Gedächtnis keine eigene Identität - für einzelne Individuen gilt dies ebenso wie für Gruppen, Gesellschaften und Nationen. Gemeinsame Erinnerungen entfalten Bindungskraft, aus ihnen erwächst Zeit- und Geschichtsbewusstsein.
Das Gedächtnis ist ein Grundpfeiler menschlichen Daseins. Es speichert mit unterschiedlicher Dauer bewusste und unbewusste Erinnerungen und Erfahrungen. Es konstruiert die Biographie, formt die Persönlichkeit und stabilisiert die Identität des Menschen. Dank des Gedächtnisses bekommt sein Leben Bedeutung. Er weiß, woher er kommt, wohin er gehört und kann für die Zukunft planen. Aber das Gedächtnis ist kein penibel arbeitendes Archiv - es selektiert Ereignisse und neigt zum Verzerren und Beschönigen.
Wie das Individuum brauchen auch Gruppen, Gesellschaften und Staaten Identität. Dazu verhilft die Rückbesinnung auf bestimmte Erlebnisse, auf eine gemeinsame Historie und Kultur. Solche Erinnerungsleistungen ermöglicht das kollektive Gedächtnis, ein Begriff, den der französische Soziologe Maurice Halbwachs in den 1920er Jahren einführte.
Erst durch kollektives Erinnern entsteht eine wirksame Erinnerungskultur, die ihren Ausdruck etwa in Denkmälern, Schriften, Festen oder Riten findet. Doch auch das kollektive Gedächtnis ist Veränderungen, Selektions- und Vergessensprozessen unterworfen. Manche Erinnerungen sind ist von Dauer, andere werden von Zeit zu Zeit uminterpretiert.