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Rückblick auf eine folgenreiche Zeit

Von: Volker Eklkofer / Sendung: Christian Schaaf

Stand: 11.04.2014 | Archiv

Die Ölkrise der 1970er: Ein Rückblick auf eine folgenreiche Zeit

Soziale und politische BildungMS, RS, Gy

Im Herbst 1973 drosseln arabische Ölstaaten die Förderung und verhängen ein Embargo. Der Ölpreis steigt um das Vierfache. Deutschland, erbarmungslos abhängig von Rohstofflieferungen, ist in ihrem Lebensnerv getroffen.

Geisterstimmung in der Bundesrepublik

Am 25. November 1973 und weiteren drei Sonntagen gehören Deutschlands Straßen den Spaziergängern und Radlern. Die Autos bleiben in den Garagen, es gilt ein allgemeines Fahrverbot. Dies ist nur die spektakulärste einer ganzen Reihe von Energiesparmaßnahmen, die die Bundesregierung verkündet hat. Zwar nehmen die Menschen die Zwangspause nach außen hin gelassen, doch ein Gefühl des Unbehagens macht sich breit. Das Ende des Traums von der totalen Mobilität, so scheint es, naht. Ist an den düsteren Vorhersagen des Clubs of Rome, die Grenzen des Wachstums seien erreicht, etwas dran? Was ist geschehen?

Der Jom-Kippur-Krieg und die Ölwaffe

Ägypten und Syrien, die schon seit Monaten die Rückeroberung der 1967 von Israel besetzten Gebiete planen, greifen am 6. Oktober 1973, dem Feiertag Jom Kippur, Israel an. Die Araber bringen die israelische Armee an den Rand einer Niederlage, doch dank amerikanischer Waffenlieferungen werden die Aggressoren zurückgeschlagen. Auf Drängen der USA, der Sowjetunion und der UNO wird Ende Oktober ein Waffenstillstand vereinbart.
Die in der OAPEC (Organization of Arabian Petroleum Exporting Countries) organisierten arabischen Öleigentümerstaaten reagieren empört. Sie werfen den westlichen Industrienationen eine einseitige Parteinahme zugunsten Israels vor und beschließen ihr Öl als Waffe im Kampf für die Rechte des palästinensischen Volkes einzusetzen. Am 17. Oktober einigen sie sich darauf, einen begrenzten Lieferboykott zu verhängen und die Produktion monatlich um fünf Prozent zu drosseln. Das Embargo zielt neben den USA auf die Niederlande, denn dort befindet sich Rotterdam, der wichtigste Umschlagplatz im europäischen Ölbusiness.
Schon tags zuvor, am 16. Oktober, haben sich die Länder des Persischen Golfes darauf verständigt, den Listenpreis für das begehrte Rohöl "Arabian Light" um 70 Prozent zu erhöhen. Die übrigen Mitglieder der OPEC (Organization of the Petroleum Exporting Countries), die schon seit Monaten mit den großen Ölkonzernen über Preisersteigerungen verhandelt, schließen sich dieser Entscheidung an. Bei einigen Ölkäufern bricht Panik aus, schnell schießen die Preise in die Höhe.

Deutschlands Abhängigkeit vom Öl

Der Zeitpunkt für den Einsatz der Ölwaffe ist gut gewählt, denn in Europa steht der Winter vor der Tür. Erdöl ist für die Industrienationen des Westens die wichtigste Energiequelle und seit Jahren steigt die Nachfrage. Allein die Bundesrepublik Deutschland deckt 55 Prozent ihres Energiebedarfs mit Import-Rohöl, davon stammen 75 Prozent aus den arabischen Ländern.
Wirtschaftsminister Hans Friderichs (FDP) setzt zunächst auf Beschwichtigung und erklärt, dass die Vorräte für ein halbes Jahr reichen. Dennoch wird Heizöl und Benzin schnell teurer. Das Kabinett beschließt Sparmaßnahmen mit Vorbildcharakter: Bundesbehörden heizen weniger und reduzieren die Beleuchtung, für Fahrzeuge des Bundes wird ein Tempolimit eingeführt. Doch wenn's ums Auto geht, zeigen sich die mobilitätsorientierten Deutschen uneinsichtig, der Benzinverbrauch geht nicht wie erwartet zurück.
Nun entscheidet sich die Bundesregierung für eine gezielte Symbolpolitik, die die Bürger wachrütteln und zum Sparen zwingen soll. Anfang November 1973 peitscht Kanzler Willy Brandt im Eilverfahren das Energiesicherungsgesetz durch den Bundestag. Darin heißt es: "Die Benutzung von Motorfahrzeugen kann nach Ort, Zeit, Strecke, Geschwindigkeit und Benutzerkreis sowie Erforderlichkeit der Benutzung eingeschränkt werden".

Fahrverbot - die Räder stehen still

Auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes wird den Deutschen ein Sonntagsfahrverbot verordnet, zunächst an vier Tagen im November und Dezember. Darüber hinaus gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen. Vor dem ersten autofreien Sonntag - Sonderfahrtgenehmigungen gibt es nur für Personengruppen wie Polizisten, Ärzte, Blumenhändler, Journalisten und Taxifahrer - malen Psychologen Horrorszenarien an die Wand: Wenn Familien ihren Wagen stehen lassen und zuhause bleiben, wird es unweigerlich zu Gewalttaten kommen.
Doch die Menschen reagieren gelassen. Während auf Straßen und Autobahnen gähnende Leere herrscht, unternimmt man Spaziergänge, fährt Rad oder ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Wie sich später zeigen wird, sind die Einsparungen durch das Fahrverbot gering.
Auch wenn die Deutschen die Fahrverbote sportlich nehmen, sitzt der Schock dennoch tief. Der Glaube, dass Rohöl stets preisgünstig zur Verfügung steht, ist erschüttert. Es herrscht Unbehagen, Angst macht sich breit, dass ohne das "flüssige Gold" bald die Lichter ausgehen.

Ende des Ölkriegs, doch das "Wirtschaftswunder" ist vorbei

Zum Jahresende 1973 entspannt sich die Lage im Nahen Osten. Der amerikanische Außenminister Henry Kissinger unternimmt eine Vermittlungsmission und Ende Dezember 1973 beschließen die OAPEC-Staaten die Ölproduktion wieder zu steigern. An den drastischen Preiserhöhungen halten die Ölförderländer jedoch fest. In Deutschland entfällt das für Januar 1974 geplante Fahrverbot, das Tempolimit wird im März aufgehoben. Es gibt wieder, wie vom ADAC gefordert, "freie Fahrt für freie Bürger".
Die deutsche Wirtschaft leidet an den Folgen der Ölkrise, denn binnen weniger Monate hat sich der Ölpreis vervierfacht. 1974 muss die Bundesrepublik für Ölimporte 23 Milliarden D-Mark ausgeben, das sind fast 153 Prozent mehr als im Vorjahr. Der PKW-Verkauf bricht ein, die Autobauer verordnen ihren Werken Kurzarbeit. Ähnlich düster sieht es bei den Baustoffproduzenten, in der chemischen Industrie und bei der Eisen- und Stahlherstellung aus. Die Arbeitslosenzahl überschreitet 1975 die Millionengrenze, 1973 waren es nur 273.000. Schließlich verfügt die Bundesregierung einen Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte. Auch das politische Klima verändert sich, die Spannungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften nehmen zu.
Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts beträgt das durchschnittliche Wachstum nur noch etwa 1,9 Prozent, die Arbeitslosenziffer steigt auf über zehn Prozent. Vor 1973/74 gab es jährliche Steigerungsraten des Bruttosozialprodukts um acht Prozent.

Auf der Suche nach Alternativen

Die Ölkrise hat den Industrienationen des Westens ihre Abhängigkeit von Ölimporten schmerzhaft vor Augen geführt. Nun versuchen sie Rohöl einzusparen und neue Energiequellen zu erschließen (Wind-, Solar-, Atomstrom). Eine Debatte über die Schonung von Ressourcen beginnt und hält bis heute an. Auch Tempolimits und Fahrverbote sind immer wieder im Gespräch.
Die Bundesregierung plant in den 1970er Jahren den Bau von 40 Kernkraftwerken, doch dagegen formiert sich die Anti-AKW-Bewegung. So ist es auch eine Folge der Ölkrise, dass in der Bundesrepublik neue soziale Bewegungen entstehen. Diesen Gruppierungen liegen keine "Klasseninteressen" mehr am Herzen, sie widmen sich in unterschiedlichster sozialer Zusammensetzung Problemfeldern wie "Frieden" oder "Umwelt". 1980 wird schließlich die Öko-Partei "Die Grünen" gegründet. Heute ist sie in der deutschen Parteienlandschaft fest verankert.


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