Wo der Main sich in die Donau mischt Der Main-Donau-Kanal wird 30
Am 25. September 1992 wurde der Main-Donau-Kanal in Betrieb genommen – nach 32 Jahren Bauzeit, Milliarden verbauter DM, Diskussionen, Protesten und Spott. Unser Autor Thomas Senne hat auf dem Kanal Menschen getroffen, deren Leben er bestimmt.
"Rhein-Main-Donau-Kanal" nennen ihn manche, "Neuer Kanal" oder einfach "Europakanal". Viele kennen ihn auch als "Main-Donau-Kanal", nach der offiziellen Bezeichnung. Name hin, Name her: dieser europäische Wasserweg zwischen Bamberg und Kelheim ist eine gigantische Verkehrsader. Mammutbauwerk, Zankapfel, monotoner Strich durch die Landschaft.
Arbeitsplatz, das ist der Kanal für Franz Cichy. Seit dem frühen Morgen ist er mit dem Frachter Ursula-Klaus und Bootsmann Paul auf dem Main-Donau-Kanal unterwegs. Nach dem Ausladen in Würzburg geht es ohne Fracht nach Linz an die Donau. "Dort wird dann Kunstdünger geladen für Kroatien oder Serbien, donauabwärts", sagt Cichy. "Und wenn wir unten wieder den Kunstdünger in Restjugoslawien ausgeladen haben, bekommen wir höchstwahrscheinlich Konstruktionsteile von Kroatien wieder für Rotterdam oder für Antwerpen. Das wäre ein Rundlauf von 30, 35 Tagen. Somit bin ich doch drei, vier Wochen von daheim weg".
Schleuse zu kurz, Wartezeit lang
Einen Monat dauert es oft, bis der Bootsführer auf der Wasserstraße wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückkommt. Und wenn viel los ist, sorgt ein Schiffstau an einer Schleuse für unwillkommene Wartezeit. Wie jetzt gerade an der Staustufe Erlangen. "Das Schiff vor uns hat eine Länge von 110 m", erklärt Cichy. Da die Ursula-Klaus 85 Meter lang ist und die Schleusenkammer nur 192 Meter, ist Warten angesagt. "Ich konnte nicht mitschleusen, muss erst meinen Vordermann wegfahren lassen, hochschleusen, abwarten. Die nächsten Schiffe, die runterkommen."
Es bleibt also etwas Zeit, das etwa 350 Tonnen schwere Schiff näher kennen zu lernen. Nicht ohne Stolz zeigt der 65-jährige seinen Arbeitsplatz, der für ein paar Wochen auch das Zuhause des Binnenschiffers ist: Küche, Schlafkabine, Toilette. "Und jetzt gehen wir mal in den Kommandostand, die Kommandobrücke."
Kanal-Zahlen
- 171 Kilometer lang
- 243 Meter Höhenunterschied, zwischen Hilpoltstein und Bachhausen über die Europäische Hauptwasserscheide
- maximale Wasserspiegelbreite von 55 Metern
Mit der Fertigstellung des letzten Kanalabschnitts ging 1992 für manche ein Traum in Erfüllung. Auch für Harald Leupold, Managing Director bei der Hafen Nürnberg-Roth GmbH: "Das ist ein langer, langer Menschheitstraum, wie man die westlichen Flusssysteme mit dem südöstlichen, also der Donau, verbinden kann." Schon Karl der Große habe das im Jahr 793 mit der Fossa Carolina bei Treuchtlingen versucht, führt Leupold aus. Doch der Graben ist ständig zusammengefallen.
Eisenbahn schlägt Schiff
Über 1000 Jahre später hat König Ludwig I. dann den Ludwig-Donau-Main-Kanal bauen lassen. Der war über 170 km lang, hatte aber den Nachteil, dass Schiffe über nicht weniger als 100 Schleusen passieren mussten. Und: "Zwischenzeitlich gab's ja eine technologische Revolution. Das neue Transportmittel Eisenbahn hat eigentlich verhindert, dass der Ludwig-Donau-Main Kanal zu der Blüte kommt, wie es an sich vorgesehen war", so Leupold.
1921 erhält die vom Deutschen Reich und dem Freistaat Bayern gegründete Rhein-Main-Donau AG den Auftrag, eine Großschifffahrtsstraße zwischen Aschaffenburg und Passau zu errichten, die den Anforderungen eines modernen Schiffsverkehrs gewachsen ist. Nach dem Ausbau des Mains wird 1960 in Bamberg mit dem Main-Donau-Kanal begonnen.
"Wenn man das Großprojekt anhand der Aushubmassen, die dort bewegt worden sind, betrachtet, kann man sagen, dass der Bau des Main-Donau-Kanals die größte Baustelle war nach dem Zweiten Weltkrieg. An bestimmten Stellen ist ausgehoben worden. Das Material hat man an anderen Stellen gebraucht, wo der Kanal dann in Dammlage liegt, also im Prinzip zu Auffüllung"
.Guido Zander, Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Nürnberg
Ein Aufwand, der sich gelohnt hat, meint der Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Nürnberg, Guido Zander. Zustimmung erhält er vom niederländischen Binnenschiffer Willi Leensen, der sich gerne an seine erste Fahrt auf dem neuen Kanal erinnert und dabei lachen muss: "Schön. Neu. Abenteuer! Das ganze Leben sind wir den Rhein runtergefahren und am Ende unserer Karriere haben wir dann noch erlebt, dass der Main-Donau-Kanal eröffnet wurde. Da haben wir auch zum ersten Mal die Donau gesehen und diese Ostblock-Schiffe, diese Russen und Rumänen. Das war ja exotisch für uns. Das war weit weg. Und auf einmal war das ganz nah".
Kanal-Zahlen
- 5 Pumpwerke und Dämme von 75 Kilometern Länge
- 16 Schleusen und sieben Wehre
Für die einen ein Traum, für die anderen ein Albtraum. "Der Hauptkritikpunkt war natürlich die Zerstörung der Natur", erinnert sich Günther Raß, Vorsitzender der Kreisgruppe Nürnberg vom Bund Naturschutz. Durch den Bau seien wertvolle Feuchtgebiete zerstört worden. "Unwiederbringlich zerstört wurden das untere Altmühltal, das früher in weiten Mäandern durchflossen wurde. Die Altmühl, muss man wissen, fließt ja eigentlich im alten Tal der Donau, wo also ein wesentlich größerer, wasserreicherer Fluss durchgeflossen ist und dieses große schöne Tal ausgeformt hat. Drum konnte sie so große schöne Mäander und Feuchtgebiete ausbilden. Es wurde also ziemlich zerstört".
"Bau war nicht zu verhindern"
Und so gab es schon zur Bauzeit bissige Kritik, Spott und Häme für den Kanal, unter anderem von den Kabarettisten Dieter Hildebrandt und Gerhard Polt. Umweltaktivisten liefen Sturm gegen diese "Verschleuderung von Steuergeldern", allen voran der Bund Naturschutz. Der beteiligte sich, als auch Demonstrieren nicht mehr half, am sogenannten Landschaftsbegleitplan eines Professor Grebe aus Nürnberg.
"Das war damals nicht ganz unumstritten", gibt Günther Raß zu. "Soll man sich beteiligen, soll man mithelfen, diese Sünden zu kaschieren oder soll man versuchen, das Beste rauszuholen? Wir haben uns für Letzteres entschieden. Rückwirkend denke ich, es war die einzige Möglichkeit, hier überhaupt noch ein bissel was zu erreichen." Der Bau sei nicht zu verhindern gewesen, aber in den Randgebieten, wurden Stillgewässer angelegt, Refugien für die Natur, wieder etwas versucht zurückzugeben. Vom Bauvolumen her sei ein Fünftel für solche Projekte verwendet worden, schätzt Raß. "Das wäre ohne unseren Einsatz so nicht gekommen."
Kopfzerbrechen bereitet den Naturschützern aber nicht nur, was verschwindet, sondern auch das, was kommt, "die neuen Lebewesen, die durch den Kanal zu uns transportiert werden, die Neozoen", erklärt Reß. "Da haben wir zum Beispiel, die Dreikantmuschel, die viele Badende bös in Erinnerung haben. Die reißt nämlich mit ihren scharfen Kanten die Fußsohlen ganz schön auf. Die kommt aus dem Schwarzen Meer und kann nun über die Donau und den Kanal in unser Gebiet, das Regnitzeinzugsgebiet kommen. Mittlerweile ist sie über Umwege, über Main und Rhein, schon zurück aufwärts in den Bodensee gewandert."
Kanal-Zahlen
- 115 Straßen-, Eisenbahn- und Fußgängerbrücken über den Kanal
- 8 sogenannte Trogbrücken, mit denen der Kanal selbst Flüsse und Straßen überquert
Inzwischen ist das Wasser- und Schifffahrtsamt Nürnberg für den Kanal zuständig. Um ihn zu unterhalten, wird er in 45-Kilometer-Abschnitte aufgeteilt und zentralisiert betreut, über einen Bauhof mit Elektrikern, Industriemechanikern, Nachrichtentechnikern. Ebenso werden die Schleusen von einer zentralen Leitstelle aus fernsteuert. Schleusenwärter vor Ort sind nur noch eine Erinnerung.
Und auch die zweite große Funktion des Kanals wird von einer zentralen Stelle aus gesteuert: Aus dem regenreichen Donaugebiet werden jährlich rund 125 Million Kubikmeter Wasser ins wasserarme Regnitz-Main-Gebiet übergeleitet. Das soll nach Angaben des Wasser- und Schifffahrtsamtes die Wasserqualität der fränkischen Flüsse verbessern und der Wasserversorgung von Ballungszentren dienen.
Brücke weicht Brücke
So oder so ist der reibungslose Ablauf in den Schleusen entscheidend für einen ungestörten Kanal-Betrieb. Die Ursula-Klaus hat gerade grünes Licht für die Einfahrt in die Schleusenkammer bekommen. "Ich werde jetzt das Schiff losbinden und dann werden wir versuchen, in die Schleusenkammer einzufahren", kündigt Schiffsführer Franz Cichy an. Die Einfahrt in die enge Schleusenkammer ist Millimeterarbeit. Auch nach oben: Immer wieder drückt Cichy den Knopf für die Absenkung seines Kommandostands, um nicht mit den niedrigen Kanalbrücken zu kollidieren. Um einen halben Meter wird sie so tiefergelegt.
Die Brücke bleibt also heil, gerammt werden ab und zu allerdings die Wände der Schleuse. Ungefährlich ist das alles nicht, immer wieder geht bei den Manövern mal ein Mann über Bord und dann wird es lebensgefährlich. Doch diesmal kann das Schiff schließlich mit Tauen in einer sicheren Position festgezurrt werden.
Kanal-Zahlen
- 32 Jahre Bauzeit
- 4,7 Milliarden DM verplant und verbaut
- in Betrieb genommen am 25. September 1992
Szenenwechsel zur Bamberger Wasserschutzpolizei (WSP). In der Bootshalle macht Reiner Pflaum das Streifenboot klar, mit dem vor allem die Berufsschifffahrt kontrolliert wird. Die Eckdaten hat Pflaum im Kopf: "Es ist knapp 15 Meter lang, Baujahr 1979 und die Spitzengeschwindigkeit – das ist bei uns nicht so erheblich, weil zwischen den Schleusen, also in einer so genannten Haltung, kann uns keiner ausbüchsen – die liegt bei so ca. 40 km/h".
Einen Namen muss er sich nicht merken, das Boot heißt einfach "WSP 42". Aus dem Hafen Bamberg geht es auf den Main-Donau-Kanal hinaus stromabwärts. Mit an Bord ist Heinz Römmelt, der Chef der WSP-Gruppe Bamberg. Er erklärt, mit was es die Beamten vor allem zu tun bekommen: "Fahrtzeitüberschreitung, Untermannung – also keine vollständige Besatzung. Dann bestimmte Gegenstände nicht rechtzeitig geprüft, Rettungsmittel nicht ausreichend oder unzureichend an Bord oder kaputt, Beiboot als Rettungsboot nicht einsatzklar, Maschinentechnik im Maschinenraum nicht so wie es sein soll".
Per Funk wird das nächste Kontrollziel angekündigt, das sogenannte Gütermotorschiff Aschaff, Heimathafen Würzburg. "Das fährt auf die Schleuse Bamberg talwärts zu, also uns entgegen", erklärt Römmert. "Um eine sinnvolle Kontrolle zu machen, warten wir hier im Unterwasser von Bamberg und fangen das Schiff ab und steigen dann während der Fahrt drauf zur Kontrolle".
Wenig später hat "WSP 42" die Aschaff eingeholt und von Römmelt "geentert": geübt steigt er vom Streifenschiff auf den Frachter. Er checkt die Bordbücher, inspiziert den Maschinenraum, prüft das Schiff auf Herz und Nieren. Bange Minuten für den Kapitän und seine zweiköpfige Mannschaft. Doch auszusetzen gibt es nichts, sie können die Fahrt fortsetzen.
Hinweis
Die ursprüngliche Version dieses Beitrags ist 2012 entstanden.