Nicht zu verwechseln Eine Hymne auf die Originale
Originale scheuen die Öffentlichkeit. Joseph Berlinger war für sein Zeit-für-Bayern-Feature unterwegs in Bayern, weit draußen an den Rändern genauso wie tief drin. Dort, wo man mit viel Glück noch Originale findet - auf dem Land und mitten in der Metropole.
Kulturkritiker klagen darüber, wie eintönig die Gesellschaft geworden ist.
Alle sind wir gleichgeschaltet. Die Konsum- und Unterhaltungsindustrie hat uns
fest im Würgegriff. Und wir bilden uns ein, wir würden liebevoll umarmt.
Genormte Fließbandprodukte sind wir. Darüber kann auch die schrillste Verkleidung,
auch das verwegenste Piercing nicht hinwegtäuschen. Und auch kein
Ganzkörpertatoo. Die wirklich Unangepassten, die echten Außenseiter findet man
nicht in den Talkshows der Fernsehsender. Auch nicht in den Klatschspalten der
Boulevardpresse. Sie sind nicht da, wo die Kameraleute und Fotografen sind. Sie
leben im Verborgenen. Sie haben sich ihre Nischen gebaut und dort das Überleben
probiert. Öffentlichkeit scheuen sie. Deshalb ist es auch nicht leicht, sie vors Mikrofon
zu kriegen. Ihr Misstrauen ist gerechtfertigt. Trägt nicht auch jener Reporter, der ein
„echtes Original“ porträtiert, zur Demontage dieses Originals bei? So wie der
Reisejournalist, der die letzte unentdeckte Insel in der Südsee preist, der erste ist, der
sie dem Massentourismus zum Fraße vorwirft? Joseph Berlinger war unterwegs – tief
in der Provinz, ganz hinten in Bayern, weit draußen an den Rändern. Dort, wo man
mit viel Glück noch Originale findet. Mit ganz viel Glück findet man sie auch noch
mitten in der Metropole.
Isaak Cissé
Isaak Cissé ist ein weiß-blau - manchmal rot weiß - karierter schwarzer Paradiesvogel. Ein bunter Hund. Ein populärer Paradebayer. Das lebende Maskottchen des FC Bayern München. Er kommentiert im Bayerischen Fernsehen jeden Sonntag das Sportgeschehen der Woche. Bald wird er, zumindest hierzulande, so berühmt sein wie Jerome Boateng, David Alaba, Kingsley Coman und Douglas Costa.
"A originaler Münchner, dees muass aa amoi a Grantler sei. Dass er amoi für a boa Minutn grantlt, um nix und nix. Und aaf oamoi wieder freindlich sei. Oiso dees ghört zu den Münchner. Dees is ganz normal."
Issak Cissé
Wenn, so fragt sich der Reporter, wenn es ganz normal ist, dass der Münchner ein Grantler ist, kann dann so ein normaler Münchner jemals ein ungewöhnlicher, eigenwilliger Mensch, also ein Original sein? Und ist der senegalesische Bayer Isaak Cissé ein Original? Oder ist er eher ein Exot? Also einer, der sich von den Mehreren, den Vielen unterscheidet? So wie der hellhäutige Reporter ein Exot wäre, würde er durch ein senegalesisches Dorf spazieren?
Melanie Gräfin von Walderdorff
"Ich habe mich entschieden, ohne Mann zu leben und Pferde zu züchten. Mein Gott, wenn einer hierher gekommen wär, der wirklich mir sehr gut gefallen hätte, dann wär s mir auch recht gewesen. Aber denen war das hier alles zu primitiv, das Leben.
Wer will das schon, in so einem einfachen Leben hier oben, die waren ja alle aus besten Häusern, und das hat keiner fertiggebracht. Und so habe ich eben mit meinen Tieren gelebt."
Melanie Gräfin von Walderdorff
Der Reporter hat kürzlich eine alte Frau kennengelernt, die schon als junge Frau ihren Kopf durchgesetzt hat. Die sich gegen die Konventionen und Erwartungen ihres Standes gestellt hat: Melanie Gräfin von Walderdorff. Sie ist knapp über 80 Jahre alt und lebt einsam und allein in einem kleinen Hexenhaus im Wald. Wenn sie ihrem Vater gehorcht hätte, würde sie jetzt in einem prächtigen Adelsschloss residieren. Auf dem Familienbesitz Hauzenstein oder Kürn in der Oberpfalz. Oder auf dem Schloss eines auserwählten Gemahls.
"Ich bin da ganz raus, ganz weg. Andere wollen da gern drin sein. So ist das halt. Jedem das Seine, kann ich da nur sagen. Ich hab das nie bereut. Nie. Ich habe einfach das Leben in Freiheit über alles genossen. So ging das."
Melanie Gräfin von Walderdorff
Hartmut Riederer
Eine dörfliche und eine feudale Idylle, das wäre nach dem Geschmack des Hartmut Riederer. Eine Homepage hat der Künstler nicht. Originale haben keine Homepage. Und in die mondänen Münchner Galerien, zu den Vernissagen, auf die wichtigen Partys zieht es ihn auch nicht. Dorthin also, wo er Käufer finden könnte für seine Bilder. Und so hadert er mit dem Kunstbetrieb. Und lebt ein Eremitenleben. Mitten in der Weltstadt München. Hat er Wahlverwandte?
"Erstens mal der Kasperl, und dann gibts Robert Walser. Jean Paul…"
Hartmut Riederer
… alles ausgemachte Einzelgänger. Sonderlinge. Originale, ohne Zweifel. Und den Märchenkönig Ludwig II. nennt er auch. Gibt es, fragt sich der Reporter, auf dem Land mehr Sonderlinge, mehr Originale als in der Stadt? Riederer erzählt von einem Schriftstellerkollegen. Der sei immer, wenn er auf dem Land gelebt hat, in der Früh kurz aufgestanden, habe die Rollläden hochgezogen und sich dann wieder schlafen gelegt. Damit die Leute denken, er beginne schon früh sein fleißiges Tagwerk. „So schlimm ist es auf dem Land“, sagt Riederer. Und auch er selbst klagt darüber, dass dort der Anpassungsdruck noch viel größer sei als in der Stadt. Dass man es dort schwerer habe als eigenwilliger Künstler.
Hartmut Riederer
„Ich frage noch wie ein Kind. Alle andern nicht. Und deshalb hab ichs rausgfunden.“ Hat der Einstein gsagt. „Ich frage noch wie ein Kind.“ Was is Raum und Zeit, das fragen kloane Kinder. Und dann hörns auf. Dann kommen s ins Tagesgeschäft.“
Wäre das auch eine Umschreibung des Originals? Jemand, der noch fragen kann wie ein Kind? In seinem Wörterbuch findet der Reporter folgende Synonyme für Original, die zu Hartmut Riederer passen könnten: querdenkerisch, absonderlich, kauzig, kurios, seltsam, sonderbar, ohnegleichen, wunderlich…