Bayern 2 - Zeit für Bayern







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Bayern genießen Alt- Bayern genießen im Mai

Wenn das kein Sakrileg ist: Mitten im Frühjahr, im Mai, wo das Jahr endlich in vollem Saft steht, wo es sich gewissermaßen im Vollbesitz seiner Jugend befindet, eine Sendung, zumal eine Genusssendung, unter das Motto alt zu stellen.

Von: Gerald Huber

Stand: 27.04.2020 | Archiv |Bildnachweis

Fotos aus der Hersbrucker Bücherwerkstätte  | Bild: BR / Tanja Oppelt
Fotos aus der Hersbrucker Bücherwerkstätte  | Bild: BR / Tanja Oppelt
Bayern genießen: Alt genießen im Mai

Alt ist ein lateinisches Lehnwort im Deutschen und bedeutet zunächst eine sehr relative Distanz. Denn lateinisch altus bedeutet sowohl hoch als auch tief. Die Altstimme kann sowohl die höchste Männer- als auch die tiefe Frauenstimme sein. Das Wort hängt zusammen mit alo = ich ernähre, ziehe auf, lasse wachsen und geht auf die gleichbedeutende uralte, also noch weiter zurückreichende Wortwurzel al- zurück.Wer alt ist, ist also – im eigentlichen Sinn des Wortes – groß geworden.

Die Geschlechtertürme in Regensburg

Ganzbesonders und zwar im doppelten Sinn trifft das zu auf die Wohnburgen reicher Patrizier in Bayerns alter Hauptstadt Regensburg – und gleich im doppelten Sinn. Diese Burgen, Geschlechtertürme genannt, ragen teilweise heute noch altus, also hoch hinaus über die Paläste der Handelsherrn, ganz ähnlich wie im italienischen San Gimignano oder in Bologna. Alt sind die Türme selbstverständlich auch. Die meisten stammen aus dem 12., 13. Jahrhundert, in dem die alte Römerstadt Regensburg durch den Handel mit Italien reich und mächtig geworden war.

Egal ob Amberg, Eichstätt, Passau Würzburg oder Rothenburg – Geschlechtertürme hats früher praktisch in jeder Stadt in Bayern gegeben. In Nürnberg zum Beispiel hat sich das prächtige Nassauer Haus erhalten. Ansonsten, wie gesagt, ist diese eindrucksvolle Architekturform nur in Regensburg erhalten. Dort können Sie, etwa im Baumburger Turm Dampfnudeln essen oder sich im Löbl-Turm die Haare schneiden lassen.

Kulinarische Resteverwertung in Oberfranken

Das lateinische alo = ich ernähre, ziehe auf, lasse wachsen, mit dem das Wort alt zusammenhängt, hat noch eine weitere Tochter: Alma, die Alm, die nährende Almwiese, die nicht bloß Viehweide sein muss, sondern früher, besonders in niedrigeren Regionen der Berge auch Gartenfunktionen erfüllt hat. Lateinisch alimentum – die italienischen alimenti genauso wie unsere Alimente kommen daher –bedeutet Lebensmittel. Doch ausgerechnet Lebensmittel, die dem Altern, also dem Großwerden dienen, dürfen ihrerseits heute nicht mehr alt werden. In früheren Zeiten war das anders. Da galten noch Sprichwörter wie „Altes Brot macht Wangen rot“. Man hat Brot extra gelagert – auch lagern müssen. Schließlich wurde der Backofen im Dorf meistens nur einmal in der Woche geheizt. Heutzutage ist „Brot von gestern“ aus unseren Läden verschwunden. Viel schlimmer: Frisches Brot, das bis zum Abendnicht gegessen wurde, wird oft weggeworfen. Dabei kann damit noch allerhand anfangen. Das spart nicht nur Geld, sondern schmeckt auch. Mit alten Brezen zum Beispiel.

Übrigens ist das Sprichwort vom alten Brot, das Wangen rot macht, früher noch weitergegangen: Und frisches Brot macht Kinder tot. Klingt heute nach schwarzer Pädagogik. Aber da ist was dran. Die Sauerteigbakterien im frisch gegessenen Brot gären im Magen weiter, weswegen viele Erwachsene Beschwerden kriegen und für Kinder können die Gasblasen im Magen lebensgefährlich sein. Außerdem sind im alten Brot bestimmte kurzkettige Zuckermoleküle bereits abgebaut, die im frischen Brot noch enthalten sind. Dadurch schmeckt altes Brot zwar säuerlicher als frisches, verursacht aber keine Reizdarmsymptome.

Ein Waldlerhaus in Arnbruck

Noch so ein althergebrachter Spruch: Bleib im Land und nähr dich redlich. Vor dem Hintergrund, dass alt mit ernähren, aufwachsen zusammenhängt, könnt man auch sagen: Bleib im Land und nutz das Alte, das Bewährte. Und das, wie gesagt, redlich. Das hängt mit Rede zusammen und bedeutet, man muss Rechenschaft darüber abgeben, Rede und Antwort stehen, wie man mit etwas Altem umgegangen ist. Auch das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Zum Beispiel bei alten Häusern. In den Städten hat es sich allmählich herumgesprochen, dass alte Bausubstanz oft nicht bloß wohnklimatisch gesünder ist, sondern auch eine viel bessere Lebens- und Wohnqualität bietet. Auch auf dem Land schätzen viele mittlerweile das einzigartige Wohngefühl und das Flair alter Bauernhäuser. Bei manchen Einheimischen aber, die oft noch in solchen Häusern unter manchmal sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsen sind, schaut die Sache anders aus. Da heißt es oft noch weg mit dem alten Glump! Auch in Arnbruck, einer 2000-Seelen-Gemeinde im Bayerischen Wald, war das so, als vor 18 Jahren kein Zugereister, sondern ein einheimischer Landwirt, ein handfester Waldbauer, sich mit seiner Familie ans Renovieren eines stattlichen, aber reichlich maroden Waldlerhauses am Dorfplatz gemacht hat. Ja, spinnt er denn? hats damals ganz unverblümt geheißen. Heute gehen die Arnbrucker dort einkaufen, denn in dem Waldlerhaus ist ein Bauernladen entstanden, mit Wohnung obendrüber, und die Landwirtsfamilie hat für das Wohnen im Alten sogar ihren Neubau aufgegeben.

Die Aaglander-Flotte in Prichsenstadt in Mainfranken

Dass alte, also im Wortsinn gewachsene und dadurch – auch das eine Bedeutung von alt –erhabene Häuser etwas Besonderes sind, dafür lohnt es sich nach wie vor Werbung zu machen. Ganz anders liegt die Sache bei anderen Antiquitäten; im Speziellen: alten Autos. Die brauchen keine Werbung, denn sie erleben einen Boom ohnegleichen. Viele von ihnen kosten heute in der Regel mehr als seinerzeit, als sie neu waren. Je älter und je seltener, desto teurer. Gesucht sind vor allem Modelle ausder autoseligen Nachkriegszeit. Vorkriegsmodelle sind extrem rar auf dem Markt. Besonders Exemplare aus den Anfangszeiten des Automobils gelten heute fast ausschließlich als Fall fürs Museum, weil das Fahren damit allzu beschwerlich ist. Was liegt da näher als so eine motorisierte Kutsche mit heutigen technischen Mitteln nachzubauen hat sich ein Unternehmer aus Mainfranken gedacht. Aus der Idee sind schließlich wahrhaft aufsehenerregende Autos geworden – und ein ganzes touristisches Konzept.

Wenn Sie einen Ausflug in einer Aaglander Motorkutsche machen wollen - es gibt Möglichkeiten ...

Das Bauarchiv im schwäbischen Kloster Thierhaupten

Thierhaupten hat einmal der Schweizer Schriftsteller John Knittel gesagt, der damit ein landläufigesKlischee bedient, in dem Alt gegen Jung und Vergangenheit gegen Zukunft ausgespielt wird. Weil alt – das will niemand sein. Und niemand will als rückwärtsgewandt gelten. Aber, Hand aufs Herz, was ist denn tatsächlich schlimm dran, zuzugeben, wenn man nicht mehr zur Jugend gehört, wenn man tatsächlich aufeine reiche Vergangenheit zurückschauen kann? Und kann ich nicht erst dann beruhigt in die immer dunkle Zukunft gehen, wenn ich nicht aus meinem vergangenen Weg die ungefähre Richtung einschätzen kann, in die sich das ganze bewegt? Denkmalpfleger zum Beispiel haben ja nicht von ungefähr ihre helle Freude an Altem: an historischen Gebäuden, an alter Bausubstanz. Und sie erforschen mit Begeisterung jedes kleinste Detail daran: so wie zwei Frauen, die wir im Kloster Thierhaupten, im Landkreis Augsburg getroffen haben. Und diese beiden arbeiten an einem Projekt, dass es so in ganz Deutschland kein zweites Mal gibt!

Die Freunde des Klosters Thierhaupten bieten Führungen an durch das Bauarchiv – und natürlich durch das ganze Kloster. Aber auch sonst ist Thierhaupten als Ausflugsziel nicht zu verachten.

Die Bücherwerkstätte im mittelfränkischen Hersbruck

Die gute alte Zeit. Dass die alten Zeiten nicht immer nur gut waren, ist ja bekannt. Sicher aber ist, dass man den Eindruck haben kann, dass es früher gemächlicher hergegangen ist als heute. Sicher nicht immer, aber insgesamt gesehen. Da spielts keine Rolle, wenn die Zeitgenossen damals ihre Zeit als ewige Hetze beschrieben haben und ihrerseits wieder von einer guten alten Zeit geträumt haben. Tatsächlich hat die Herstellung bestimmter Dinge früher länger gedauert, weil man eben die modernen Hilfsmittel nicht kannte. Jedes neue Werkzeug – egal ob elektronisch odernicht – sorgt dafür, dass Arbeiten schneller von der Hand gehen – wir schaffen mehr in der gleichen Zeit. Und dadurch beschleunigen sich die Zeiten. Unweigerlich. Außerdem verschwinden im Nebeneffekt alte, jetzt überholte, technische Errungenschaften und dadurch auch alte Produkt-Qualitäten. Wenn man die wiederhaben und obendrein den Eindruck von Gemächlichkeit erzeugen will, muss man einfach alte Kulturtechniken pflegen. So, wie das beispielsweise die „Original Hersbrucker Bücherwerkstätte“ tut. Eine Handvoll Liebhaber sammelt in Hersbruck seit Jahrzehnten alte Druckmaschinen und alte Setzkästen mit Schrifttypen. In ihrer schmalen gedrungenen Werkstatt direkt an der Stadtmauer stellen sie bibliophile Druckerzeugnisse her – alles von Hand. Zum Beispiel – als begehrtes Sammlerstück – den Jahres-Kalender der Hersbrucker Bücherwerkstätte.

Die Hindenburglinde von Ramsau im Berchtesgadener Land

Die Wurzel al-, die hoch und tief gleichzeitig bedeuten kann, steckt selbstverständlichauch drin in unseren Al-pen: Hohe Berge, tiefe Täler. Und obwohl sie aus geologischer Sicht ein relativ junges Gebirge sind, sind sie mit ihren rund 135 Millionen Jahren schon auch uralt. Daran sehen sie: Es hat schon seine Berechtigung, dass die Römer unter alt nur relative Unterschiede gesehen haben. Nehmen Sie zum Beispiel einen Baum. Im Vergleich zu den Alpen sind die tausend Jahre, die eine Linde erreichen kann, ein Nichts – im Vergleich zu einem Menschen aber ein mehr als ehrwürdiges Alter. In der Ramsau im Berchtesgadener Land gibt’s zum Beispiel ein solches Exemplar. Selbstverständlich gehen quasi direkt an der Hindenburglinde auch zahlreiche Wanderwege vorbei.

Und jetzt noch ein Wort zu der oder dem Alten. Einen Vorgesetzten – auch wenn er vielleicht noch jung an Jahren ist – nennt man gern den Alten. Im Mittelalter hat man mit der Alte niemand anderen als Gottvater höchstpersönlich betitelt. Der Alte war damals auch der König im Schachspiel. Beim Schafkopfen heißt so bis heute der höchste Trumpf, der Eichel-Ober. Die Alte dagegen ist bei den Schafkopfern die höchste Farbkarte, die Eichel-Sau. Wer mit der Alten Sau zu lang spielt, der hat danach vielleicht Probleme mit der Alten daheim. Glauben Sie jetzt bloß nicht, das sei uncharmant! Weil, wie gesagt: Lateinisch altus oder alta bedeutet nix andres al der/die Hohe. Der Alte Ober ist der hohe Ober, die Alte Sau, die hohe Sau. Und so ist auch die Alte daheim nix anderes als die alta domina, die hohe Herrin – ein Ehrentitelalso, auf den der oder die Alte schon auch stolz sein kann. Wenn er mag. Oder sie.







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