Bayern genießen Haut und Knochen genießen im Oktober
Der Jahrhundertsommer liegt endgültig hinter uns, der Herbst hat angefangen und obwohl noch diverse Erntedank, bzw. Kirchweihfeste vor uns liegen geht’s jetzt schon schön stad auf Allerheiligen zu. Wir machen in unserer heutigen Bayern-genießen-Sendung gewissermaßen einen Mix daraus: Aus Kirchweihfreuden und ins Haus stehender Besinnlichkeit.
Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto Haut und Knnochen
Oberbayern: Zweite Haut: Was aus dem Kleppermantel, bzw. dem Klepper-Boot geworden ist? (Regina Fanderl bestellt)
Niederbayern: Schönes Bein, Schöner Schein. Höhepunkte der Elfenbeinkunst im Bayerischen Nationalmuseum(Tanja Gronde)
Oberpfalz: Gansjung mit Gansfüßen – eine Spezialität in oberpfälzer Bauernwirtshäusern (Thomas Muggenthaler)
Oberfranken: Ewige Ruhe in der Schublade? Wie Archäologen mit historischen Bestattungen umgehen (Carlo Schindhelm)
Mittelfranken: Rösche Haut und Fleisch, das vom Knochen fällt. Das klassische fränkische Schäufele (Ilona Hörath)
Unterfranken: Sound aus Haut und Knochen - Instrumente aus der Tierwelt in der Würzburger Studiensammlung Musikinstrumente (Jochen Wobser)
Schwaben: Schwarten für die Knöcherlsulz. Wie es eine Augsburger Firma zum Weltmarktmarktführer gebracht hat (Barbara Leinfelder)
Haut und Haus klingen nicht nur ähnlich – sie bedeuten ursprünglich auch das gleiche. Zugrunde liegt eine indoeuropäische Wortwurzel aus der Sprache der allerersten Bauern die keu- oder –skeu gelautet hat und so viel bedeutet wi bedecken, verbergen, verstecken. Ein kleines Haus, das nicht viel mehr bietet als Unterschlupf, hat man in manchen Gegenden Bayerns früher Keuche genannt. In einem Haus ist man ge- und verborgen, das Dach bedeckt einen – und genauso ist es selbstverständlich auch – und zuallererst – mit der Haut. Nun ist es natürlich so, dass unsere Haut bei widrigen Wetterbedingungen Unterstützung braucht, damit sie gut funktioniert. Sie braucht Kleidung. Aber nicht einfach irgendwas. Schönheit kommt da ganz zuletzt. Kleidung soll Wärme spenden, trotzdem muss die Haut atmen können, und Nässe muss abgehalten werden und dennoch darf sich der Schweiß nicht stauen. Da gibt’s natürlich Zielkonflikte. Denn wirklich wasserdichte Kleidung ist wasserdicht auch von innen.
Johann Klepper – legendäre Mäntel und Boote aus Rosenheim
Nicht ohne Grund haben die Menschen zu allen Zeiten nach der sprichwörtlichen zweiten Haut gesucht. Und nach vielen Jahrhunderten, in denen man sich dem Ziel mehr oder weniger erfolgreich angenähert hatte, hat schließlich im Jahr 1920 ein Rosenheimer die zweite Haut tatsächlich erfunden. Sein Name? Johann Klepper. Die Haut wär nix ohne die Knochen. Während die Haut bedeckt, liefern die Knochen die Statik. Die Haut hätte keine Form ohne die Knochen. Genauso wie ein Haus im Prinzip nur aus seinen Mauern besteht, die die Außenhaut, also Dach und Außenputz tragen.
Gansjung mit Gansfüßen. Spezialitäten aus oberpfälzer Wirtsstuben
Das ist das Wesentliche: Haut und Knochen. Nicht umsonst eine feste Redewendung. Wenn etwas aber nur aus Haut und Knochen besteht, dann fehlt das ganze Fleisch dazwischen. Bei einer Kirchweihgans beispielsweis wäre sowas fatal. Eine Gans gönnt man sich natürlich wegen des Fleischs. Und da ist natürlich eine Gans im Prinzip nie groß und fleischreich genug. Heute kein Problem. Wenn eine nicht reicht, um alle Mäuler zu stopfen, kaufen wir halt zwei. So einfach können sich das die Leute nur heut und auch nur in bestimmten Weltgegenden machen. Deshalb hat man nicht bloß Gänse, sondern alle Schlachttiere einmal mit Haut und Knochen, um nicht zu sagen, Haut und Haar verzehrt. Also auch mit all dem, was nicht große Fleischteile waren. Das ist das Gansjung, also die Teile, die jung in der Bedeutung von klein sind. Woanders sagt man dazu Gänseklein: Kopf, Flügel, Leber, Magen, Füße. Leider sind wir heute ja so sensibel, dass wir zwar gern Fleisch essen aber die Dinge, die daran erinnern, dass das Fleisch einmal ein Individuum war, das gelebt hat, verschmähn. Sagen Sie da jetzt nicht, das meiste davon sei nur Haut und Knochen! Feinschmecker aller Länder schätzen die speziellen Geschmackserlebnisse, die grade diese Stücke ohne viel Fleisch bieten.
Ein Gansjung zuzubereiten ist absolut keine Hexerei und geht verhältnismäßig schnell. Vieles beim Essen ist Gewohnheit. Wer von Haus aus mit Innereien und dergleichen aufgewachsen ist, der genießt sie und freut sich auf das Beste. Im alten Bayern ist das so ähnlich wie in Südeuropa, in Frankreich, Italien oder Griechenland, wo sich die Leute über Kutteln, Lunge und Co. freuen.
Rösche Haut und festes Fleisch. Das klassische fränkische Schäufele
Interessant ist, dass die Ablehnung, etwas anderes als reines Muskelfleisch zu verspeisen, in Nordeuropa und Nordamerika heutzutage besonders groß ist. Das heißt die Sachen werden natürlich schon gegessen. Aber sie werden im Wortsinn so verwurstelt, dass man nicht mehr sieht, um was es sich handelt. Die Welt will halt betrogen werden. Und je wohlhabender und wählerischer sie glaubt sein zu müssen, desto mehr betrügt man sie. Da lob ich mir all die, die von vornherein alles am Tier zu schätzen wissen. Und Hand aufs Herz: Haut und Knochen zu mögen. Das ist bei einem guten fränkischen Schäufele beispielsweise überhaupt nicht schwer.
Genau! Rösch ist das richtige Wort bei uns in Süddeutschland!
Haut und Knochen würd bei uns in Franken, Schwaben oder Altbayern kein Mensch sagen. Bei uns heißts selbstverständlich Haut und Baa, Boina oder Boana. Richtig hochdeutsch sind alle großen Knochen, wie das Schäufele, die Schulterschaufel des Schweins Beiner – Gebeine eben. Knochen waren ursprünglich nur die Wirbel- und Gelenkknochen wie die Fingerknöchel, die knacken, wenn man sie auseinanderzieht, die Knie, mit denen man einen Knicks macht und es ist kein Zufall, dass alle diese Wörter mit kn- anfangen. Kn ist lautmalerisch und bedeutet alles was rund, dick, zusammengeknautscht ist, alles gnom- und knirpshafte, wie der Knödel, der Knilch, der Knopf, der Knoten, der Knebel und vieles mehr, was mit kn- anfängt. Selbstverständlich gehört auch der Knorpel dazu, der so heißt, weil der knurbschelt, wenn man draufbeißt.
Schwarten für Genießer. Eine Augsburger Firma und die Knöcherlsulz
Und jetzt sind wir schon beim Thema: Es geht um was Spezielles, was man aus Haut und Knochen machen kann. Nämlich die Knöcherlsülze. Dafür braucht man Knöcherl und Knorpel und für die Sülze die Haut, sprich die Schwarte. Weils ohne Schwarte eben keine Gelatine gibt. Und weil die Franken, Schwaben und Bayern große Sülzenfans, sprich: Sulzliebhaber sind, sitzt einer der führenden Gelatinehersteller überhaupt in Augsburg. Überflüssig zu betonen, weil es allgemein bekannt sein sollte:
Fast niemand außer in unseren westlichen Überflussgesellschaften kann oder konnte es sich je erlauben irgendetwas wegzuwerfen. Was wir heute Müll nennen, hat es noch bis vor wenigen Jahren überhaupt nicht gegeben. In Bayern, wie in der ganzen westlichen Welt, hat sich die Mülltonne flächendeckend erst in der Nachkriegszeit durchgesetzt. Zuvor hat man wenn überhaupt nur eine Aschentonne gehabt. Und das auch nur in den Städten. Auf dem Land ist der wenige Abfall, also das, was abgefallen ist, von dem man sich schweren Herzens trennen musste, auf den Mist gekommen. Abfall heißt in Österreich deswegen bis heute Mist. Und erst auf dem Misthaufen ist es zu Mull oder Müll geworden – und das bedeutet nichts anderes als Erde.
Von diesem Mull oder Müll hat das Mulchen genauso seinen Namen wie der Maulwurf, der in der Erde gräbt. Alles, was nicht zu Erde werden konnte, hat man selbstverständlich wiederverwertet – und auch für die meisten organischen Abfälle gab es immer eine Verwendung.
Haut- und Knochen-Klang. Instrumente aus der Tierwelt in Würzburg
Nehmen wir einmal einen Röhrenknochen. Nach Entfernung des köstlichen Knochenmarks durch Auszuzeln hat man die mineralische Hülle immer noch brauchen können. Zum Beispiel für ein Musikinstrument. Haut und Knochen hat man aber nicht nur als Musikinstrumente genutzt, sondern als Werkstoffe für alles Mögliche: Das Leder der Haut ist heute noch überall. Knochen dagegen höchstens noch in verarbeiteter Form: Aus Knochen entstehen Seife, Zahnpasta oder Leim. Man macht daraus Knochenporzellan, das berühmte Bone China. Auch Dünger wird aus Knochenmehl hergestellt. In früheren Zeiten waren Knochen überhaupt unersetzlich: Vor allem hat man Nadeln und Spieße draus gemacht.
Und man hat Knochenmaterial für Schnitzereien aller Art verwendet. Ganz besonders natürlich das kostbare, weil exotische Elfenbein – auch wenn diese Art Bein genaugenommen kein Knochen ist. Das bayerische Nationalmuseum verfügt über eine der reichsten und bedeutendsten Sammlungen von Bein- und Elfenbeinkunstwerken in ganz Europa. Nach Jahren, in denen das Museum saniert und neugeordnet wurde, sind seit diesem Sommer auch wieder die rund 1000 Elfenbeinkostbarkeiten aus 1600 Jahren zu sehen.
Schönes Bein, Schöner Schein. Höhepunkte der Elfenbeinkunst im Bayerischen Nationalmuseum
Kostbarkeiten wie Elfenbeinschnitzereien waren natürlich nur was für die fürstliche Kunst- und Wunderkammer. Der normale Mensch hat sich selbstverständlich kein Elfenbein leisten können. Da hats das ganz normale Bein tun müssen für Rosenkranzperlen zum Beispiel. Die waren gleichzeitig ein gewisses Memento mori: Denk daran, dass das Material, mit dessen Hilfe Du Dein Gebet verrichtest, einmal gelebt hat wie Du. Denk dran, dass alles vergänglich ist, aber bet, iss und trink und freu Dich des Lebens, solang Du es hast! Das ist der Kern des Barocks – einer Kultur, die bei uns Franken, Schwaben und Altbayern ganz besondere Blüten getrieben hat und die heute noch das ganz spezielle Lebensgefühl in Bayern ausmacht. Ganz besonders wirken für ein solches Memento mori natürlich menschliche Knochen, wie man sie in vielen katholischen Kirchen Bayerns sehen kann: Gebeine, Reliquien von Heiligen, kostbar geschmückt sollen sie anregen zum Betrachten und Meditieren.
Ewige Ruhe in der Schublade? Archäologen und historische Bestattungen
Die Reformation und später die Aufklärung wollten mit der Zurschaustellung menschlicher Knochen ein Ende machen – und konnten es letztlich doch nicht. Denn durch die weltliche Hintertür hat sich ihre Präsentation wieder eingeschlichen. Nicht mehr in den Kirchen, dafür in den Museen. Archäologen auf der ganzen Welt graben täglich Bestattungen aus – und für alle stellt sich die Frage: Was soll in Zukunft damit geschehen? Womit man wieder beim Memento mori wär. Denn nur wer sich so richtig bewusst macht, dass alles was lebt, auch er selbst, sterben wird, nur der kann das Leben richtig genießen. Und im wir, die wir den Tod weitgehend verdrängt haben, sind im Lebensgenuss Waisenknaben gegenüber den Genussweltmeistern im Spätmittelalter und der Barockzeit.
Damit (Mit dem letzten Beitrag) haben wir uns ja schön langsam eingestimmt auf das Allerheiligen- und Allerseelenfest, das uns bevorsteht, wenn der Oktober vergangen ist. Einstweilen aber feiern wir noch Erntedank und Kirchweih und die Schäufele sind dran und die Gänse und wenns sein muss, auch die Sülzen. Und dann kommen eh wieder die Tage für den Kleppermantel und wenns ganz greuslich ist, fürs Museum. Alles hat eben seine Zeit. Sie wie halt auch die Bayern-genießen-Reihe jeden ersten Samstag im Monat kommt.