Bayern genießen Zeit genießen im Februar
Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“ heißt es im Buch Kohelet im Alten Testament. Schon die steinzeitlichen bayerischen Bauern vor über siebentausend Jahren haben das gewusst und weit vor Stonehenge große begehbare Kalendertempel geschaffen.
Die Themen von Bayern genießen im Februar
- Oberbayern: Mit der Zeit – Zeitgefühl und Zeitempfinden im Wandel (Andreas Estner)
- Mainfranken: Zeitzeiger – Die Sonnenuhrenstadt Röttingen (Jochen Wobser)
- Ober- und Mittelfranken:: Uhrzeit – Präzision in Miniatur aus Nürnberg (Ilona Hörath)
- Oberbayern: Zeitgewinn – Die Aktion zur Verzögerung der Zeit in München (Arthur Dittlmann)
- Schwaben: Zeitgenuss – Slow Food im Allgäu (Marianne Bitsch)
- München: Zeit im Fluss – Das Hochgefühl des "Flow" (Kristina Thiele)
Redaktion und Regie: Gerald Huber
Wir wissen aber, spätestens seit uns der große bayerische Kinderbuchautor Michael Ende das in seinem Roman Momo eindrücklich geschildert hat, dass, wer Zeit sparen will, sich selbst betrügt. Sie erinnern sich vielleicht an die grauen Herren, die die Leute dazu animieren, Zeit zu sparen, um dann diese gesparte Zeit in ihren Zigarren zu grauer Asche zu verrauchen? Tatsächlich: Zeit kann verrauchen, verschwinden, sich in Luft auflösen in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Eigentlich müsst ich Ihnen also ein langweilige kommende Stunde wünschen. Sie werden aber sehen, dass Ihnen unser Bayern genießen ausgesprochen kurzweilig vorkommen wird.
Oberbayern
Mit der Zeit – Zeitgefühl und Zeitempfinden im Wandel
Mit der Zeit – Das war der Wahlspruch des großen Wittelsbacher Renaissancefürsten Ottheinrich in seiner Residenzstadt Neuburg an der Donau. Ein doppeldeutiges Wort, das sich für ihn doppeldeutig erfüllt hat. Er ist mit der Zeit gegangen, er war modern und mit der Zeit ist auch alles so gekommen, wie er sich das vorgestellt hat. Mit der Zeit zu gehen – das setzt voraus, dass man jederzeit auf Höhe der Zeit ist. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist das Messen der Zeit. Schon in der Antike hat man dafür Sand- oder Wasseruhren verwendet. Im Hochmittelalter hat man dafür, wahrscheinlich war es bei uns im Alpenraum, die Uhr mit Hemmung entwickelt, die, wenn man so will, erste moderne Maschine.
Und am Ende des 15. Jahrhundert hat ein bayerischer Uhrmacher auf im gerade fertiggestellten höchsten Backsteinturm der Welt, dem Landshuter Martinsturm, die erste Turmuhr mit Viertelstundenschlag eingebaut. Seitdem und bis ins 20. Jahrhundert war für die meisten Menschen die Viertelstunde sowas wie die kleinste Zeiteinheit.
Andreas Estners Tipps zum "Zeit genießen" in Oberbayern:
Wenn Sie gern eine Zeitreise unternehmen möchten zu Dingen von früher, dann können sie in dieser Gegend den Hofladen am "Hennererhof" in Schliersee besuchen. Die junge Bauernfamilie betreibt einen Cramerladen mit vielen Dingen, die sich seit Jahrhunderten bewähren und nebenbei ein Bauernhofcafe.
Wenn Sie den Begriff Zeit am eigenen Leib ausprobieren möchten, dann empfiehlt sich in dieser Gegend ein Abstecher in das legendäre Café Winklstüberl in Fischbachau. Sie brauchen viel Zeit, um eines der Riesen-Kuchenstücke zu essen. Die Küchenstücke sind etwa so groß wie ein Mittagessen, weshalb sie auch viel Zeit brauchen, bis Sie neben den vielen Kuchenhungrigen einen Parkplatz finden, und weshalb Sie noch einmal so viel Zeit brauchen, bis Sie in einer der großen Bauernstuben an einem Kaffeetisch Platz nehmen können. Wenn Sie dann dort sitzen können Sie die grösste Kaffeemühlensammlung Deutschlands bewundern und ihre Gedanken auf Zeitreise schicken.
Mainfranken
Zeitzeiger – Die Sonnenuhrenstadt Röttingen
Haben sie gewusst, dass die Abkürzung "MEZ" ursprünglich nicht "Mitteleuropäische Zeit", sondern "Mitteleuropäische Eisenbahn-Zeit" geheißen hat. Die Eisenbahnzeit wurde in Bayern 1892, in ganz Deutschland erst 1893 eingeführt, damit man für die Fahrpläne nicht ständig umständlich einzelne Ortszeiten umrechnen musste. Dass wir nach einer gemeinsamen Zeit leben, hat also noch gar keine lange Tradition.
Bis zur Erfindung der Eisenbahn kannte man im Prinzip nur die sogenannte "Ortszeit", die vom Sonnenstand am jeweiligen Ort abhängig war, also von Längengrad zu Längengrad um vier Minuten abweicht. Das heißt, wenn die Funkuhr nach Mitteleuropäischer Zeit genau Mittag zeigt, dann ist es in München erst 11 Uhr 46 und 26 Sekunden Ortszeit. Das aber ist nur die mittlere Ortszeit. Die wahre Ortszeit hängt außerdem noch von den verschiedenen Jahreszeiten ab, ist also an jedem Tag ein bisserl anders. Ganz schön kompliziert das zu berechnen – und doch haben es schon die Astronomen der Steinzeit zu einer gewissen Fertigkeit gebracht und die Sonnenuhr entwickelt, das älteste Zeitmessinstrument überhaupt.
Die 'Gnomonik' - also die Lehre von den Sonnenuhren fasziniert die Menschen bis heute. Die weltweit meisten Sonnenuhren auf einem Fleck konzentrieren sich übrigens in Unterfranken: Das 1.700-Einwohner-Städtchen Röttingen im Ochsenfurter Gau ist die "Stadt der Sonnenuhren".
Ober- und Mittelfranken
Uhrzeit – Der Nürnberger Uhrensammler Karl Gebhardt
Seit Albert Einstein wissen wir, dass die Zeit eine Dimension ist, die sich zusammen mit den drei Dimensionen des Raumes zur vierdimensionalen Raumzeit verbindet. Eine Raumzeit, die ihren Anfang nimmt mit dem Urknall, bei dem aus reiner Energie erst Raum und Zeit entstehen. Obwohl Einsteins Relativitätstheorie schon rund hundert Jahre alt ist, können nach wie vor die wenigsten von uns wirklich was damit anfangen. Wir sind eben Zwerge, die sich schwertun, über den Tellerrand unserer unmittelbaren Erfahrungen hinauszuschauen. Da war der mittelalterliche Mensch noch ganz anders. Das Übernatürliche, also das überphysikalische, war ihm vollkommen selbstverständlich – im wörtlichen Sinn: Gott versteht sich selbst, auch wenn der Mensch ihn nicht versteht. Erst mit dem Beginn der Neuzeit beginnt die systematische Erforschung dessen, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Selbstverständlichkeit allein genügt nicht mehr. Jetzt will der Mensch verstehen. Weswegen er zu messen beginnt. Der Ingolstädter Mathematiker Philipp Apian fertigt 1563 als erster Mensch eine große Landkarte, die auf genauen Messungen beruht. Seine sogenannten „Bayerischen Landtafeln“ werden erst im 19. Jahrhundert an Genauigkeit übertroffen. Und auch bei der Messung der vierten Dimension, der Zeit, passieren wichtige Entwicklungen in Bayern, genauer in Nürnberg. Hier werden die ersten am Körper zu tragenden Uhren gebaut. In der Uhrensammlung Karl Gebhardt – benannt nach ihrem inzwischen verstorbenen Gründer, dem Uhrmacher und Uhrenliebhaber Karl Gebhardt – kann man diese miniaturisierten Messinstrumente bewundern, mehr über ihre Erfinder erfahren. erleben, wie sich der Mensch in ein immer engeres zeitliches Korsett gezwängt hat.
Oberbayern/MünchenOberbayern: Zeitgewinn – Die Aktion zur Verzögerung der Zeit in München
Unsere deutschen Wörter Jahr und Uhr sind verwandt mit dem griechisch-lateinischen Wort hora, die Zeit, die Stunde. in allen diesen Wörtern steckt die uralte Wurzel hor drinnen, die einmal soviel bedeutet hat, wie laufen, gehen. Wir sprechen ja heute noch Jahreslauf, vom Lauf der Zeit. Und auch in der rennenden Horde und im englischen to hurry = sich beeilen steckt diese Wurzel hor drin. Apropos: Dass es bei uns in Bayern noch immer gar nicht so schlimm ausschaut mit dem ständigen Rennen, der Beschleunigung, der Selbstausbeutung, dem Stress, das liegt vielleicht auch an unserer gewissen Haltung grundsätzlicher Verweigerung gegenüber manchem Ansinnen, doch schnell einmal das und gleich jenes zu machen, unter dem Motto Iatz mog i grad extra net.
Mag uns das auch manchmal als Phlegma oder Unbeweglichkeit ausgelegt werden – es schützt uns mehr als anderes vor Selbstausbeutung. Vor diesem Hintergrund der gesunden Gegenreaktion muss man auch die Aktion der Münchner Künstler Wolfram Kastner und Angelika Drabert vom Verein zur Verzögerung der Zeit sehen. Sie sind an einem Freitagmittag zur besten Geschäftszeit durch Münchens Fußgängerzone geschlendert. Zusammen mit zwei weiteren Gesinnungsgenossen haben sie als Sandwich-Männer und -Frauen Schilder getragen mit der Aufschrift Bitte beeilen Sie sich! und Please hurry up!
Schwaben
Zeitgenuss – Slow Food im Allgäu
Die Zeit können wir erst wirklich genießen wir sie uns nehmen. Nicht umsonst ist "sich Zeit nehmen" ein Synonym für "langsam tun" – grade in schnelllebigen Zeiten, in denen alles schnell gehen muss, sogar das Essen. Als 1986 mitten in Rom an der Spanischen Treppe ein amerikanisches Burger-Restaurant entstand, da waren viele Italiener empört. Sie wussten, dass Genuss, gerade kulinarischer Genuss, Zeit braucht.
So entstand als Gegenbewegung zu Fast Food die Slow-Food Bewegung mit der Weinbergschnecke als Symbol. Bei Slow Food gehts nicht um exklusive Sterneküche, sondern um das Wiederentdecken und Bewahren von regionalen Besonderheiten.
Wer wissen will, wo es einen extra guten Bäcker gibt oder welche Wirtschaft zu empfehlen ist, weil der Koch regionale Lebensmittel zu feinen Gerichten verarbeitet, der ist bei Slowfood an der richtigen Adresse. Insgesamt 100.000 Menschen in 150 Ländern gehören der Bewegung bereits an. Auch in Bayern gibt es bereits zahlreiche "Convivien", wie die Gruppen, angelehnt an das lateinische Wort für "Tafelrunde" heißen. Das Allgäuer Convivium beispielsweise kümmert sich natürlich um einen ganz speziellen Allgäuer Käse.
München
Zeit im Fluss – Das Hochgefühl des "Flow"
Nicht nur beim Essen, auch bei der Arbeit und jeder anderen Beschäftigung, kann man erleben, dass langsam und gut besser ist als schnell und oberflächlich – manchmal sogar schneller. Aber das nur nebenbei. Für die allermeisten Tätigkeiten gibt es eine ganz bestimmte Geschwindigkeit, wo die Arbeit ganz besonders von der Hand geht, wo die Zeit stillzustehen scheint und gleichzeitig wie im Flug vergeht, wo sie also tatsächlich keine Rolle spielt.
Musik hören oder machen ist also ein besonders probates Mittel, um einmal richtig die Zeit zu vergessen. Schließlich ist Musik nichts anderes als die zu einem akustischen Kunstwerk gestaltete Zeit selbst. Ganz besonders Berufsmusiker erleben das Vergessen der Zeit im Erleben der Musik.