München in der Nachkriegszeit Nur Not gab es im Überfluss
Dass wir diese Tonaufnahmen überhaupt hören können, ist eine Sensation. Mehr als fünfzig Jahre lang lagen die einzigartigen Dokumente aus Nachkriegs-Bayern unbeachtet in einem Schweizer Schallarchiv.
Im Mai 1948, noch vor der Währungsreform, durchstreifte der Schweizer Radioreporter Friedrich Brawand München und Umgebung mit seinem Aufnahmegerät. Die Beobachtungen, die der Reporter aus der wohlgenährten Schweiz in der ausgehungerten und zerstörten Stadt gemacht hat, bieten ein authentisches Bild vom Leben nach dem Krieg. Jetzt wurden die Schellack-Platten bei einer Aufräumaktion entdeckt, und sind im Rahmen des Features erstmals seit 1948 zu hören.
Überall ist das Mikrophon des Reporters dabei: Die Buchhandlung am Marienplatz organisiert eine Tauschbörse, und wer einen Shakespeare kaufen will, muss dafür 60 Pfund Altpapier hinlegen. Die Zeiten sind schlecht, aber es gibt auch Wundermittel. Zum Beispiel im Kaufhaus Hertie, wo der Propagandist einen Metallbrei zum Kaltlöten anpreist: "Ich gebe Ihnen jede Garantie, dass Sie auf allen Töpfen, die Sie reparieren, kochen können.... Sie können hier auch Wasserleitungsrohre, Dachrinnen und Ofenrohre flicken und es auch als Fensterkitt verwenden." Auch das Kaufhaus ist ein Tauschhaus; wer ein neues Kleid kaufen will, muss dafür zwei "zertrennte Kleider" abgeben.
In den Fabriken fehlt Material, Maschinen sind demoliert oder demontiert, 20.000 Münchner sind noch in Kriegsgefangenschaft, Frauen stehen an den Werkbänken. Die Arbeitszeiten sind lang, Arbeitsunfälle an der Tagesordnung. Brawand besucht die Rathgeber Waggonfabrik, Siemens & Halske und das Agfa-Kamerawerk. Tausende Studenten ziehen auf einem Hungermarsch durch die Innenstadt. Zur Demonstration am 1. Mai strömen 60.000.
Zigtausende von Flüchtlingen und Vertriebenen leben in Notunterkünften. In der Stadt herrscht der Hunger. Auf dem Schwarzmarkt in der Möhlstraße werden 250 Mark für das halbe Pfund Butter bezahlt. Auf dem Land dagegen haben die Menschen noch etwas zu essen, deshalb fahren die Städter hinaus zum Hamstern. Die Bauern dort müssen zwangsweise Kartoffeln und Kühe abgeben. Sie sind empört: "Mir ham geglaubt, wir ham CSU gwählt, und Kommunisten hammer derwischt!", schimpfen sie in das Mikrophon des Schweizer Reporters.
Unter dem Titel "Nur Not gab es im Überfluss" spiegeln die Autoren Gerhard Brack und Anton Rauch in der Reihe "Zeit für Bayern" die wieder entdeckten Schellack-Platten eines Alltags im kriegszerstörten Bayern mit Erinnerungen von Münchnern heute. Die Zeit vor der Währungsreform wird lebendig, eine Phase, noch bevor D-Mark und Wohlstand nach Bayern gekommen sind und das Wirtschaftswunder am Horizont aufschien.