Kommen Sie ran, hier sind Sie sicher Schausteller zwischen Zwang und Zwanglosigkeit
Die ersten Frühlingsfeste locken wieder die Besucher auf die Volksfestplätze. Doch ohne TÜV geht nichts. Schon beim Aufbau der Fahrgeschäfte warten die Prüfer und viele Auflagen. Wir begleiten die Schausteller, zwischen Zwang und Zwanglosigkeit.
Im Kettenkarussell durch die warme Frühlingsluft wirbeln, Kopfstehen in der Achterbahn: Kaum sprießen die ersten Knospen, beginnen auch die ersten Frühlingsfeste. Das größte in Nordbayern findet in Nürnberg statt – mit 167 Schaustellerbetrieben.
Von wegen Freiheit
Die Freiluftsaison ist auch für Schausteller der Start in die geschäftigste Zeit des Jahres. Leben im Wohnwagen, alle zwei Wochen eine andere Stadt, das klingt nach Freiheit. Doch mittlerweile sind die Bestimmung und Regelungen für das fahrende Volk und ihr Gewerbe so komplex , dass die Schausteller eigentlich ein Studium in Bauwesen, Recht oder Sicherheitstechnik bräuchten.
Die Sachverständigen des TÜV-Süd prüfen jährlich die Konstruktionszeichnungen und Berechnungen für etwa 300 Anlagen und führen rund 100 Abnahmeprüfungen von neuen Anlagen durch. Für die Schausteller kein Zuckerschlecken.
"Mit Romantik hat der Beruf recht wenig zu tun, Gott sei Dank verkauft man noch die Illusion, der Besucher möchte das ja auch noch erleben. Wir schaffen ja auch mit Emotionen, Licht, Musik, Gefühlen, Gerüchen, Bratwurst, Mandeln und was da alles dazugehört. Das sind die Emotionen, das ist halt unser Hauptgeschäft. Man stellt es sich halt vor und mit dieser Illusion leben wir ja auch – eben die juchzenden Schreie, wenn man mit so einem Karussell eben mal schneller fährt."
Peter Roie, Schausteller und Betreiber des Disco-Express
Die ersten Gäste sind immer die Prüfer
Die Illusion im Aufbau: Noch zehn Tage vor Beginn des Nürnberger Frühlingsfestes wirkt der Volksfestplatz wie ein unvollendetes Fahrgeschäfte-Puzzle. Die Wilde Maus mit ihren hoch aufragenden Fahrbahnen, den engen Herzschlag-Kurven, hat noch keine Nachbarn. Im Autoscooter stehen die Autos in Reih und Glied mitten auf der Fläche, während ein Mitarbeiter mit Pinsel und Neonfarbe die Spuren der letzten Saison beseitigt. Die Wildwasserbahn ist trockengelegt, die zigtausend Kuscheltiere an den Losbuden noch in großen Plastiksäcken. Die einzigen Gäste auf dem Platz sind Prüfer. Oft, aber nicht immer, der TÜV. Zur Erstabnahme von neuen Fahrgeschäften oder zu sogenannten Verlängerungsprüfungen – wie beim Auto auch.
Das kunterbunte Berg- und Talkarussell von Schausteller Peter Roie soll sich später beim Nürnberger Frühlingsfest rasant um die eigene Achse drehen – zu Schlagermusik, unter einer großen Discokugel. Die Kugel hängt schon, das Karussell darunter ist aber noch ein Stahlgerippe. Zwei Mitarbeiter einer Werkstoff-Prüffirma führen die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Zwölfjahres-Prüfung durch. Dafür braucht es keinen TÜV. Sie nehmen die besonders beanspruchten Karussellteil genau unter die Lupe, halten jeweils ein u-förmiges Gerät daran.
"Man erzeugt ein Magnetfeld und streut Eisenspäne drüber. Und an der Stelle, wo es gerissen ist, da entsteht ein Streufluss und so erkennt man die Risse."
Mitarbeiter einer Prüffirma
Vor Peter Roie liegt ein weißer Ordner, in dem jede noch so kleine Strebe und auch jede Prüfung dokumentiert ist.
"Fakt ist ja, dass wir hier auch vor einer Maschine stehen, die ne gewisse Nutzung hat und die gewisse Lebensdauer eines Bauteils ist ja hiermit zu überprüfen. Wenn man merkt, dass es einen Verschleiß gibt – das ist ja wie beim Auto auch, zum Beispiel mit einer Bremsscheibe – dann werden die Teile mit der Sonderprüfung erfasst und dann eben erneuert."
Peter Roie, Schausteller und Betreiber des Disco-Express
Abnahmen vom TÜV, der städtischen Baubehörde, der Feuerwehr, der Polizei
Wie das Wetter beim nächsten Volksfest wird, wie viele Besucher kommen - das können Schausteller nicht vorhersagen, sicher aber ist: Die Prüfer warten immer. Der Disco-Express steht auf bis zu 20 verschiedenen Veranstaltungen im Jahr. Der TÜV kommt bei Schausteller Roie nur alle paar Jahre vorbei, er hat ja ein Karussell, keine Achterbahn. Jedes Jahr aufs Neue aber werden die Anlagen am jeweiligen Standort von der städtischen Baubehörde abgenommen – die sogenannte Gebrauchsabnahme, dann kommen noch Feuerwehr und Polizei. Sicherheit für die Besucher und auch für die Schausteller, denn niemand will einen Ausfall oder gar einen Unfall riskieren.
"Mittlerweile ist es standardisiert. Wenn man ein Karussell neu hat, dann hat man noch einen Freiraum und wenn das Karussell dann ein paar Jahre gelaufen ist, dann werden die Prüfungen intensiver, zurecht intensiver, und über den Standard denkt man ja schon gar nicht mehr nach. Wenn man sagt, so ein Karussell hat zwei Tage Aufbau, dann geht schon mal ein ganzer Tag für die Wartung drauf, die Inbetriebnahme und die Dokumentation und bis dann alles läuft, nochmal ein guter Vormittag."
Peter Roie, Schausteller und Betreiber des Disco-Express
Die Zwölfjahresprüfung übersteht der Disco-Express ohne große Probleme – keine Mängel. Nach vielen Vorbereitungen beginnt der Trubel: Das Volksfest, die Illusion, ist wieder perfekt: laute Musik, der Duft von gebrannten Mandeln und Zuckerwatte – und neue Superlative: Risiko, soweit es das Gesetz erlaubt.
Eine Flut an Paragraphen
Die Fahrgeschäfte werden immer größer, so wie das riesige Infinity-Karussell. Schon der immense Unterbau erhebt sich mit seinen 30 Metern Höhe über alles andere am Nürnberger Volksfestplatz. An ihm ist eine Stange aufgehängt ,die wie ein überdimensionales Uhrpendel schwingt, und an dessen Ende eine Plattform, die Besucher in schwindelerregende Höhen schleudert. Sicherheit steht bei dieser Jagd nach Superlativen auch für Lorenz Kalb, den 1. Vorsitzenden des Süddeutschen Schaustellerverbandes, an erster Stelle. Sozusagen im Hinterzimmer dieser Adrenalin-Illusion, in den Wohnwagen hinter den Karussellen, wird die Flut an Paragraphen aber zunehmend zum Problem.
"Es ist natürlich sehr viel mehr geworden, und wir haben uns letztens unterhalten beim Mittagessen, dass man eigentlich als normaler kleiner Schaustellerbetrieb das gar nicht mehr stemmen kann. Wir haben kein Backoffice dabei. Wir sind Familienbetriebe, die von früh bis nachts selber am Geschäft stehen und unsere Gäste wollen uns auch sehen und nachts muss man dann die Doku-Aufzeichnung machen für die Mitarbeiter. Jetzt gibt’s neue Vorschiften, wie man Kassenführung zu machen hat, wir haben stundenlange Sitzungen mit dem Steuerberater gehabt. Also wir führen seit 40 Jahren ein Kassenbuch und jetzt muss alles anders sein. Und das macht uns das Leben zur Hölle. Wir haben nach wie vor sehr guten Besuch auf Deutschlands Volksfesten. Über 150 Millionen Besucher. Die Einnahmen sind in Ordnung, aber die Kosten- und die Auflagensituation sind unerträglich geworden."
Lorenz Kalb, 1. Vorsitzender des Süddeutschen Schaustellerverbandes
Topspin – vom Adrenalin-Garanten zum Klassiker
Früher durften sich Waghalsige lange Zeit mit der guten alten Schiffschaukel überschlagen – ganz ohne Sicherheitsgurt. Und früher gehörte das Fahrgeschäft Topspin zu den Adrenalin-Garanten auf jedem Volksfest. Gut festgeschnallt in einer großen Kabine wurden die Mutigsten zwischen zwei massiven Trägern nach oben und unten und zusätzlich um die eigene Achse gewirbelt. Heute ist das Geschäft von Schausteller Rudi Bausch ein Klassiker, sieht neben dem riesigen Infinity-Looping sogar ziemlich mickrig aus. Rudi Bausch gilt als ältester Schausteller des Nürnberger Volksfestes, zieht seit 56 Jahren durch Deutschland. Sicherheit war in all den Jahrzehnten schon immer die erste Priorität, ebenso das Streben nach immer höher, schneller, weiter.
"Davon haben ja die Volksfeste gelebt, dass es immer was neues gab, von den Innovationen. Jedes Jahr sind Geschäfte am Platz, die noch nie da waren oder neu gebaut wurden, und das interessiert das Publikum schon."
Rudi Bausch, Schausteller
Eine Achterbahnfahrt für Besucher – und Schausteller
Achterbahn fahren beim Volksfest nicht nur die Besucher, sondern auch die Schausteller – hin und her – zwischen den notwendigen Sicherheitsbestimmungen, die längst in Fleisch und Blut übergegangen sind, der Bürokratie, die auch die Schausteller auf ihren Dauerreisen längst eingeholt hat – und dem, was diesen Beruf eben so besonders macht: die Illusion der Gefahr, die in den allermeisten Fällen eben genau das bleibt: Kribbeln im Bauch.