Das gelbe Gold vom Main Die Quitten aus Astheim
Quitten leuchten goldgelb und sind reich an Vitamin C. In den Supermärkten sucht man sie aber oft vergeblich, denn roh sind sie ungenießbar. Und doch erlebt die Quitte in Unterfranken gerade eine Renaissance.
Marius Wittur ist gelernter Baumpfleger und kommt gebürtig aus dem Apfeldorf Wehrheim im Taunus. Früher hat er für Bio-Landwirte im ganzen süddeutschen Raum Obstbäume geschnitten. Dabei entdeckte er die Quitten an der Volkacher Mainschleife – und beschloss, dort zu bleiben. Vor ein paar Jahren legte er die zugewachsenen Quittenbäume wieder frei und rief ein Rekultivierungsprojekt zum Erhalt alter Quittensorten ins Leben. Wo immer er Quittenbäume oder Sträucher in der Landschaft entdeckt, versucht er die Flächen zu pachten, um die Quitten zu erhalten.
Außerdem rekultiviert Marius Wittur in seiner Baumschule in Untereisenheim alte fränkische Quittensorten. Er züchtet sie nach und bietet damit eine Vielfalt, wie man sie heute in keinem Gartencenter oder Baumarkt mehr findet.
"Wir haben in unserem Projekt 15 Landsorten identifizieren könne wie zum Beispiel die Volkacher Riesenquitte, die Astheimer Perlquitte und 20 Sorten, die nur eine Nummer haben, weil es keine alten Leute mehr gibt, die wissen, wie die Sorte hieß oder heißt."
Marius Wittur
Der Astheimer Quittenlehrpfad
Marius Wittur hat außerdem einen Rundwanderweg an der Mainschleife bei Volkach initiiert: den Astheimer Quittenlehrpfad. Der Pfad erklärt, woher die Begeisterung für die Quitte einst und heute kommt. Die ursprüngliche Heimat der an Vitamin C reichen Frucht liegt im östlichen Kaukasus. Erste Nachweise hierzulande finden sich bereits im frühen 15. Jahrhundert. 1409 gründen Karthäusermönche ein Kloster in Astheim – und mit ihnen kommt wohl auch die Quitte an den Main.
Kostbares Obst im Mittelalter
Schon im Mittelalter wird die Quitte als wertvolles, kostbares Obst geschätzt. Ein Nachweis dafür findet sich in Astheim, in einem Gebäude neben dem ehemaligen Kloster. Dort ist das Archiv der Stadt Volkach untergebracht. Ute Feuerbach, die Archivarin, hütet darin einen Schatz: das Volkacher Saalbuch des Stadtschreibers Niklas Probst.
"Das Saalbuch stammt aus dem Jahr 1504 und ist deshalb so wertvoll, weil 128 Bilder das Geschehen in der Stadt abbilden. Das ist einzigartig in ganz Europa, wenn es um die mittelalterliche Stadt als solche geht."
Ute Feuerbach, Archivarin
Sebastian Probst, der Sohn des Stadtschreibers, hält später im sogenannten Kopialbuch B3 die gesamte Korrespondenz seines Vaters fest – als Abschrift auf 1.000 Seiten. Aus heutiger Sicht ist das ein Glücksfall, denn in Chroniken oder alten Urkunden wäre niemals von Quitten gesprochen worden, erklärt Ute Feuerbach. In einem Brief dagegen schon.
Am 6. Januar 1506 etwa schreibt Niklas Probst seinem Freund Johann Nibling, dem damaligen Prior des Klosters Ebrach einen Neujahrsgruß.
"Darum schick ich Euch ein kleins Gablein, nämlich 100 Quitten, der ich nicht besser han haben mögen. Die woll geb ich (…) von mir (…) zu Dank empfangen (…) dass die Geringe ist!"
"Er bringt also hier zum Ausdruck, dass diese 100 Quitten etwas ganz Besonderes sind und er bittet darum, dieses Geschenk als etwas Besonderes anzunehmen. Das ist schon ein Glücksfall, dass wir hier den Nachweis haben, dass Quitten hier an der Mainschleife auch das Obst gewesen waren, das man verschenken kann."
Ute Feuerbach, Archivarin
Uralte, vergessene Quittenbäume aus dem Dornröschenschlaf befreit
Am Astheimer Quittenlehrpfad gibt es noch heute die alten Rangenteile. Diese schmalen Flurstücke an einem Nordhang, einem Rangen, hatten die Karthäuser Mönche einst ihren Frohndienstlern überlassen. Im Jahr 2003 stieß Marius Wittur an diesen Rangenteilen auf uralte, vergessene Quittenbäume – und befreite sie aus ihrem Dornröschenschlaf.
Flurbereinigung unbeschadet überstanden – dank der Bahn
So bleibt in Astheim eine der ältesten Quittenkulturen Deutschlands erhalten. Die Rangenteile mit den Quitten haben sogar die Flurbereinigung in den 60er- und 70er-Jahren unbeschadet überstanden, was einem besonderen Umstand geschuldet ist, erklärt Marius Wittur.
"Und zwar hat die bayerische Staatseisenbahn zwischen 1905 und 1909 die Rangenteile hier mit dem Bau einer Bahnlinie durchbrochen. Und ein Hang, der einmal quer mit von einer Bahnlinie durchzogen ist, war für die Flurbereinigung komplett uninteressant, weil man nicht mit dem Traktor von oben nach unten fahren kann."
Marius Wittur
Obst wird mit dem Zug bis nach München geliefert
Ab 1909 ist die Volkacher Mainschleife über eine Nebenbahnstrecke an das Schienennetz angebunden. An den Bahnhöfen in Volkach und Astheim werden im Spätsommer und Herbst Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Kirschen, Mirabellen und natürlich auch Quitten verladen und mit dem Zug bis nach München transportiert. Es ist die Blütezeit des Obsthandels. Und Quitten sind damals etwas Besonderes:
"Das war damals die Schokolade der armen Leute, weil Quitten einen hohen Pektingehalt haben. Das heißt, wenn ich Quittenmus einkoche, dann fängt es an, zu gelieren – es wird fest. Das war etwas Besonderes."
Marius Wittur
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Obsthandel an der Mainschleife zunächst noch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. In Astheim und auf der anderen Mainseite in Volkach gibt es große Händler und Genossenschaften. Tonnenweise werden Früchte verladen – die Bauern bekommen ihr Geld täglich bar auf die Hand. Doch Ende der 60er-Jahre bricht die Nachfrage ein. Im Supermarkt gibt es nun neue, exotische Früchte, frisch oder in Dosen. Toast Hawaii mit Ananas ist plötzlich chic – für Zwetschgen, Kirschen oder gar Quitten, die zudem noch schwer zu verarbeiten sind, interessiert sich keiner mehr.
Die Renaissance der Quitte
Umso beachtlicher ist der Erfolg von Marius Wittur. Er hat es geschafft, die Quitte als etwas Besonderes ins Bewusstsein der Menschen zurückzuholen. Mit seinem Rekultivierungsprojekt und dem Quittenlehrpfad hat er der Quitte zu einer Renaissance verholfen.
"Die Quitte ist der Trüffel jedes Obstgartens – und soll es auch wieder werden."
Marius Wittur
In der Zeit für Bayern erzählt Autor Jürgen Gläser die Geschichte des gelben Golds vom Main, und zeigt dabei auch, wie sich der Obstanbau insgesamt in der Region verändert hat.