Wildkatzen im Spessart Mit dem Reagenzglas auf Katzenjagd
Die Hauskatze ist einer der beliebtesten tierischen Begleiter des Menschen. Weit weniger bekannt ist die Wildkatze. Sie galt in Bayern seit 1914 als ausgestorben. Einst vom Menschen verdrängt hat sie aber wieder Fuß gefasst – auch im Spessart.
Im Wald, mitten im Spessart: Zwischen mächtigen Buchen und Eichen ist ein Mann unterwegs, mit geschultertem Gewehr. Sein Ziel ist eine Lichtung, die sich unvermittelt auftut. Dort legt sich der Jäger auf die Lauer. Jetzt heißt es, geduldig sein und warten. Er weiß: Das Tier, das er ins Visier nehmen will, ist sehr scheu. Doch dann bewegt sich etwas im Unterholz. Ein gedrungener, graubrauner Körper, kaum zu erkennen. Lautlos schleicht das Tier voran, vorsichtig und nach allen Seiten sichernd. Der Jäger krümmt seinen Zeigefinger: Er trifft das Tier zweimal. Es ist das Jahr 1850. Der Mann ahnt nicht, dass er eben die letzte Wildkatze im Spessart erlegt hat.
Friedfertige Jagd mit dem Lockstock
Gut 160 Jahre später – wieder in einem Waldstück im Spessart. Wieder stellt ein Mann den Wildkatzen nach. Allerdings nicht mit dem Gewehr – sondern mit gewöhnlichen Dachlatten. Jürgen Thein ist Biologe und im Auftrag des Bund Naturschutz unterwegs. Wenn er auf Wildkatzen Jagd macht, dann völlig friedfertig und unblutig. Die knapp einen Meter langen Dachlatten schlägt er einfach in den Waldboden ein. Seine Jagdmethode ist der sogenannte "Lockstock".
"Das ist ganz einfach: Katzen mögen Baldrian. Man kann schön den Nachbarn ärgern. Ein paar Tropfen Baldrian vor die Haustür, dann kommen die Kater in der Ranzzeit und jaulen. Das kann man mit Wildkatzen auch machen."
Jürgen Thein, Biologe
Jürgen Thein träufelt etwas Baldrian auf die Dachlatte – fertig ist die umweltfreundliche und völlig ungefährliche "Wildkatzen-Falle". Dabei will der Biologe nicht das ganze Tier einfangen. Ihm genügen schon wenige Haare.
"Wenn die Katzen das riechen, finden die das sehr interessant, kommen an die Stöcke, reiben sich daran und da bleibt dann Haar hängen. Und diese Haare werden gesammelt. Wenn an diesen Haaren noch Haarwurzeln sind, kann man genetische Untersuchungen machen."
Jürgen Thein, Biologe
Ganz so einfach, wie Jürgen Thein das hier beschreibt, ist es dann doch nicht. Der Biologe weiß aus eigener Erfahrung nur zu gut: Wer Wildkatzen aufspüren will, der braucht vor allem: viel Geduld und Ausdauer.
"Ich habe zwei Jahre gearbeitet, bis ich die ersten Haarproben hatte. Aber wenn man dann mal eine Katze gefunden hat, dann kommt die auch regelmäßig zurück. Im wöchentlichen Abstand kann man da Haare absammeln. Man ist dann in einem Revier von so einem Tier."
Jürgen Thein, Biologe
Kräftiger und massiger als Hauskatzen
Wildkatzen sehen zwar ähnlich aus wie grau-braun-getigerte Hauskatzen, wirken jedoch etwas kräftiger und massiger. Doch wo kommen die Tiere eigentlich her, wenn sie im Spessart doch ausgerottet wurden?
Mediengerecht inszeniertes Spektakel
Umweltschützer wollen die Wildkatzen Ende der 1970er-Jahre im Spessart wieder ansiedeln. Ein prominenter Fürsprecher kommt dafür eigens in die Region – zwei Wildkatzen im Gepäck. Es ist der weltbekannte Tierforscher und Umweltschützer Bernhard Grzimek.
"Dann haben sie in der Lichtenau mit riesen Presseaufwand die zwei Katzen losgelassen. Ein riesen Remmidemmi. Da waren vielleicht 70 Journalisten und Fernsehteams da."
Hubert Gebhard, ehemaliger Förster am Forstamt Rothenbuch im Spessart
Der Grundgedanke mag ja gut und nett gewesen sein, sagte der im Mai 2015 verstorbene Spessart-Förster Hubert Gebhard immer. Allein die Ausführung dieser Art der Katzenauswilderung war wenig nachhaltig, wie sich schnell zeigte.
"Da kamen sie mit zwei Kästen. Die Katzen mussten sie regelrecht rausschütteln. Die sind auf und davon und keine ward mehr gesehen. Das war natürlich ein Schuss in den Ofen."
Hubert Gebhard, ehemaliger Förster am Forstamt Rothenbuch im Spessart
Projekt zur Wiederansiedlung
"Das muss man anders anpacken", sagte sich Hubert Gebhard nach dieser letztlich fragwürdigen Aktion. Sollten Wildkatzen im Spessart wieder heimisch werden, müssten sie auch hier geboren werden, davon war der Förster überzeugt. In Zusammenarbeit mit dem Bund Naturschutz startete er sein eigenes Nachzuchtprojekt. Tief im Wald bei Rothenbuch, im Landkreis Aschaffenburg, baute er mehrere Gehege – ganz einfache Konstruktionen aus Holzpfosten, einigen Brettern und Maschendraht. In diesen Gehegen brachte er seine ersten Wildkatzenpärchen unter. Im Wald und ungestört, sollten sie für Nachwuchs sorgen. Nur um Frischwasser und Futter zu bringen, suchte Gebhard die naturnahe Zuchtstation auf. Meist gab es tote Küken aus der Geflügelzucht.
Eine Gewöhnung an den Menschen gab es kaum. Diese Katzen wuchsen fast wie in freier Wildbahn auf - weil die Aufzuchtgehege mitten im Wald, weit weg von jedem menschlichen Einfluss und anderen Störfaktoren standen, und weil sich Hubert Gebhard nur so viel wie unbedingt nötig bei ihnen aufhielt. So war den Tieren der Wald nicht fremd, als der Tag der Freilassung kam.
Vermächtnis eines engagierten Tierschützers
Die Aufzuchtstation für Wildkatzen im Rothenbucher Forst sollte der Ausgangspunkt einer einzigartigen Erfolgsgeschichte werden. Im Lauf von mehr als 25 Jahren zog der Förster an die 200 Tiere auf und wilderte sie aus. Das war die Basis für die Rückkehr der Wildkatze im Spessart. Und es ist das Vermächtnis des engagierten Tierschützers und Umweltaktivisten Hubert Gebhard.
Um die Nachhaltigkeit des Projekts zu überprüfen, kommt dann der Biologe Jürgen Thein ins Spiel. Mit der Lockstockmethode sammelt er Genmaterial der Wildkatzen ein. Im Lauf vieler Jahre können so Daten über Lebensräume, Wanderungen und Fortpflanzung der äußerst scheuen Tiere wissenschaftlich exakt erfasst werden.
Gezielte Jagd auf Wolf, Bär und Wildkatze
Viele Tierarten wurden von früheren Generationen gezielt bejagt. Und die letztliche Ausrottung – sei es des Wolfs, des Braunbären oder auch der Wildkatze – wurde seinerzeit als Erfolg gesehen, im Kampf gegen die Unbill der Natur.
"Für den Menschen muß man ganz klar sagen: Er hat es als Erleichterung gesehen, dass seine Haustiere nicht mehr gefährdet waren. Dass er sich auch von der Psychologie her nicht mehr gefährdet gesehen hat."
Oliver Kaiser, Geschäftsführer des Naturparks Spessart
Oliver Kaiser ist Biologe und Geschäftsführer des Naturparks Spessart. Er kennt die Historie der Region. Forstwirtschaft und Jagd waren jahrhundertelang prägend. Tiere, die nicht als Jagdbeute oder als Nutztier taugten, wurden als Konkurrenten des Menschen betrachtet, im Kampf um die Ressourcen der Natur.
"Wobei sogar die süße Wildkatze bejagt wurde. Da gibt es noch Beschreibungen, die sind gut 100 Jahre alt, in denen wird die Wildkatze noch als blutrünstige Bestie beschrieben, die sogar Rehe anfällt, was natürlich völliger Quatsch ist. Aber damals hat man jedes Mittel gesucht, um die Jagd auf die Wildkatze zu rechtfertigen. Mit Erfolg: Die Wildkatze ist in weiten Teilen Deutschlands ausgerottet worden."
Oliver Kaiser, Geschäftsführer des Naturparks Spessart
Auch andere Tierarten wurden, weil sie als Konkurrenten des Menschen galten, entweder vertrieben oder gar getötet. Die Folgen dieses Vorgehens waren spätestens im ausgehenden 19.Jahrhunderts deutlich zu erkennen. Und die Auswirkungen sind bis heute zu spüren, sagt Oliver Kaiser.
"Für die Ökologie selber hat es natürlich Auswirkungen gehabt. Gerade eben das Verschwinden der Beutegreifer, weil sich das Rehwild, das Rotwild, auch das Schwarzwild stärker vermehren konnte. Der Mensch hat dann gegengehalten, als er gemerkt hat, dass es vermehrt zum Verbiss von Jungbäumen kommt und damit zu Schäden am Wald, der damals sehr stark genutzt war im Spessart. Durch Holzkohlegewinnung, durch Eisenhütten, durch Glashütten hat man große Mengen an Holz gebraucht. Und da konnte man nicht noch weitere Schäden im Wald hinnehmen. Und das hat wiederum die Jagd verstärkt. Das heißt der Mensch ist an die Stelle der natürlichen Räuber getreten, hat also dann Rotwild, Schwarzwild gejagt."
Oliver Kaiser, Geschäftsführer des Naturparks Spessart
Luchs und Wolf sind auch wieder da
Der Mensch greift in die Natur ein und versucht die Abläufe nach seinen Wünschen zu steuern. Das war früher so und daran hat sich bis zum heutigen Tag wenig geändert. Doch was, wenn jetzt wieder Raubtiere auftauchen? Der Luchs ist hierfür ein Beispiel. Auch der Wolf ist schon in der Region. Ob nun vom Menschen geplant oder von selbst eingewandert – wenn einst verschwundene Tierarten wieder zurückkehren, was bedeutet das für das Ökosystem Wald? Ist die Wildkatze mittlerweile wieder angekommen im Spessart? Hat sich der große Aufwand des Auswilderungsprojektes gelohnt? Und: Wie reagiert die Bevölkerung im Umfeld auf solche Projekte? Antworten gibt Zeit für Bayern-Auto Klaus Rüfer in seiner Sendung "Mit dem Reagenzglas auf Katzenjagd".