Zum Sonntag: Religionen als Schulen des Friedens
Die Konflikte, die Kriege unserer Tage werden oft religiös begründet, auch verklärt. "Kein Krieg ist heilig", meint Ahmad Milad Karimi. Im Gegenteil: Religionen müssen Schulen des Friedens sein.
Als Kind in Kabul konnte ich nicht verstehen, warum ein Name Gottes "Friede" war. Ich kannte nur den Krieg, die Unruhe und das Gefühl, dass in jedem Augenblick alles verloren sein könnte. Diesen Namen konnte ich nicht aussprechen, denn er schmerzte mich, aber ich wusste, dass hinter dem alltäglichen Lärm des Krieges ein unendlich zarter Frieden verborgen lag. Was nützte jedoch dieser Frieden, wenn der Glaube an ihn Tag für Tag schwand?
Kann diesem Gott noch vertraut werden?
Religiös verstörend war dabei, dass die Kriegstreiber ihre Gewalt im Namen desselben Gottes führten. Wie beliebig ist eine Religion, die sowohl Frieden als auch Krieg, Schutz und Missbrauch bedeuten kann? Kann diesem Gott noch vertraut werden? Oder geht es hier nicht um Gott, sondern um einen Gott, den wir uns zurechtgemacht haben, dem wir nicht dienen, sondern der uns dient – unseren Interessen, unserer Machtsicherung, unserer Ideologie? Wäre eine Welt ohne Religion nicht heilsamer, friedlicher? Diese schmerzliche Frage müssen wir uns stellen, auch wenn die pauschale Kriminalisierung der Religionen nicht so vereinfacht angenommen werden kann.
Bedeutet Frieden, dass es keine Konflikte gibt?
Doch Religionen sind keine Subjekte; sie tun nichts. Es sind wir Menschen, die in Verantwortung vor unserem Glauben stehen und uns fragen müssen, was es heißt, religiös zu sein. Sollen wir uns damit abfinden, dass der Frieden allein militärisch erzwungen werden kann? Damit wäre der Frieden ein Instrument der Gewalt, denn nur der Stärkere kann durch seinen militärischen Sieg den Frieden verkünden. Der Frieden wäre dann die Vollendung des Krieges. Oder bedeutet der Frieden, dass es keine Konflikte mehr gibt?
Kein Krieg ist heilig, er hinterlässt nur Schmerz
Die Mehrdeutigkeit innerhalb der Religionen ist ein Segen, denn sie hält unterschiedliche Lesarten und verschiedene Wege zur Wahrheit offen. Doch der Frieden ist keine mögliche Lesart, sondern Grund, Inhalt und Praxis der Religionen. Kein Krieg ist heilig, denn er hinterlässt nicht nur Schmerz, sondern erzeugt auch Gewalt. Als der Prophet Muhammad gefragt wurde, was der beste Islam sei, antwortete er: "Der beste Islam ist, wenn du die Hungrigen speist und Frieden unter Bekannten und Unbekannten verbreitest."
Gestaltung des Friedens braucht klare Haltung
Für die konkrete Gestaltung dieses Friedens benötigen wir daher eine klare Haltung, die in universellen Werten gründet. Dabei muss die Religiosität alternativlos als Verpflichtung und Inspiration zum Frieden begriffen werden. Es reicht keineswegs aus, Gewalt und Kriege zu verurteilen oder sich verbal von ihnen zu distanzieren.
Religionen sind Schulen des Friedens
Eine religiös bedingte Friedenshaltung bedeutet Widerstand, sie bedeutet, Sand im Getriebe einer Gewohnheit zu sein, die sich damit abgefunden hat, dass Gewalt, religiös motivierte Gewalt, dazugehört und dass wir im Grunde nichts ändern können. Religionen sind Schulen des Friedens. Und selbst dann, wenn sie instrumentalisiert werden, bis zur Unkenntlichkeit pervertiert sind, wird sich ihr innerer Drang nach Frieden nie vollständig auslöschen lassen.
Gesicht zeigen, wenn Unrecht geschieht
Die Fähigkeit, Gegensätze in Unterschiede zu verwandeln, die Perspektive des Anderen einzunehmen, unaufhörlich Selbstkritik zu üben, um seine Fehlbarkeit zu wissen und Gesicht zu zeigen, wenn Unrecht geschieht, könnte erklären, warum der schönste Name Gottes "Friede" ist. Oder wir verabschieden uns von diesem Namen.