Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag Zwischen Angst und Wirklichkeit – Migration als Zukunftsfrage

Ein Mann, ein Muslim, geboren in Afghanistan - was fällt Ihnen zu mir ein, fragt der Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi und spielt in seinem Kommentar auf die Debatten nach München und Aschaffenburg an. Plötzlich seien alle Afghanen ein Sicherheitsrisiko. Ein ganzes Kollektiv werde abgeurteilt, weil einzelne versagt haben.

Von: Ahmad Milad Karimi

Stand: 14.02.2025

Zum Sonntag: Zwischen Angst und Wirklichkeit: Migration als Zukunftsfrage

Ein Mann. Ein Geflüchteter aus Afghanistan. Ein Muslim. Was fällt Ihnen zu mir ein? Vielleicht genau das, was die öffentliche Debatte uns eingeprägt hat: Ein Problem? Eine Bedrohung? Ein potenzieller Täter? Genau das ist der Irrtum.  

Diese Art von Identität macht offenbar Angst, erzeugt Ablehnung. Ein möglicher Täter! Kein Einzelfall! Der Mord in Aschaffenburg hat uns erschüttert. Dann München: Ein 24-jähriger muslimischer Mann aus Afghanistan, der als Flüchtling nach Deutschland kam, fährt mit einem Auto in eine Menschenmenge und verletzt über zwei Dutzend Menschen. Es ist unvorstellbar, was die Opfer dieser Anschläge empfinden. Unsere Solidarität gilt ihnen, damit sie wissen, dass sie nicht allein sind.

Angst und Entsetzen greifen um sich. Wieder stehen dieselben Forderungen im Raum: härtere Abschieberegeln, mehr Kontrolle, weniger Zuwanderung. Und wieder gibt es Stimmen, die aus einem Verbrechen ein Muster machen wollen: „So sind sie.“

Diese Stimmen differenzieren nicht. Sie nutzen die Tat, um aus Menschen ein Problem zu machen. Sie setzen auf Angst statt auf Aufklärung. Doch gerade in Zeiten der Erschütterung braucht es demokratische Besonnenheit. Wie einfach wäre es, einen Schuldigen für alles zu benennen. Doch wir wissen: Angst erklärt nichts. Panik hilft nicht.  

Ja, Migration ist eine Herausforderung. Ja, Integration verlangt Anstrengung. Aber ist es nicht immer die Auseinandersetzung mit Herausforderungen, die eine Gesellschaft wachsen lässt? Wer sich nicht von Schlagzeilen, sondern von Fakten leiten lässt, erkennt ein anderes Bild: Geflüchtete sind nicht weniger integrationsbereit, nicht weniger lernwillig, nicht weniger arbeitsfähig als andere. Sie lernen Deutsch, sie studieren, sie arbeiten. Sie bauen dieses Land mit auf.  

Warum also auf die Angst hören? Auf die Angst vor „den anderen“, vor „den Fremden“? Angst diskriminiert, sie vereinfacht. Plötzlich sind alle Afghanen ein Sicherheitsrisiko, alle muslimischen Männer eine Gefahr. Ein ganzes Kollektiv wird abgeurteilt, weil einzelne versagt haben. Aber was sagt das über uns?  

Gerade im Wahlkampf darf die berechtigte Angst der Menschen nicht durch populistische Kurzschlussreaktionen manipuliert werden. Die Ursache eines Verbrechens lässt sich nicht an Namen, Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht oder Glaubenszugehörigkeit ablesen.  

Es ist die alte Logik der Ausgrenzung: Ein Verbrechen wird zum Argument gegen Millionen. Aber warum gilt das Prinzip der individuellen Verantwortung nur für die einen, aber nicht für die anderen?  

Ein unschuldiges Kind zu ermorden, ist weder eine muslimische noch eine afghanische Sitte. Es ist ein Verbrechen. Warum sollen Hunderttausende, die sich bemühen, die arbeiten, die längst Teil dieser Gesellschaft sind, für die Taten Einzelner haften?  

Migration ist keine abstrakte Theorie. Sie ist gelebte Realität. Sie ist Arbeit, Bildung, Integration – und sie gelingt, weil Menschen sich darum kümmern. Ehrenamtliche, Lehrer, Sozialarbeiter, Nachbarn wissen: Ankommen ist schwer. Dazugehören ist nicht selbstverständlich. Aber es ist möglich. Und es passiert.  

Deutschland ist nicht gescheitert an der Migration. Es wächst an ihr – trotz aller Herausforderungen, trotz aller Hürden.  

Es braucht Mut, sich der Realität zu stellen. Mut, gegen die Angst zu argumentieren. Mut, sich nicht mit einfachen Antworten zufriedenzugeben. Denn das Problem sind nicht „die anderen“. Das Problem ist, dass wir vergessen haben, wer wir selbst einmal waren.  

Deutsche waren Flüchtlinge. Deutsche haben Zuflucht gesucht. Wann haben wir aufgehört, das zu verstehen?  

Migration ist keine Bedrohung. Sie ist die Geschichte der Menschheit. Und sie ist unsere Zukunft. Die Frage ist nicht, ob wir sie aufhalten können. Die Frage ist, ob wir sie gestalten wollen.


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