Zum Sonntag Was würde Jesus tun? Warum das nicht immer die wichtigste Frage ist
Christen beziehen Stellung gegen rechtsextremes Gedankengut. Gut so, aber bitte nicht mit dem Argument: Was würde Jesus tun? Denn Jesus war ja nicht nur Gott, sondern auch Mensch und als solcher fehlbar. Ein Kommentar von Antje Schrupp.
"Jesus würde kotzen" - mit diesen drastischen Worten hat Anna Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, bei der Berliner "Demo gegen Rechtsextremismus" im Februar deutlich gemacht, was sie davon hält, wenn völkische Gruppierungen über die Deportation unerwünschter Menschen nachdenken und sich dabei auf das "christliche Abendland" berufen. Über die drastische Wortwahl entspann sich in meiner Ecke des Internets eine kleine Debatte. Stimmt das wohl? Oder würde Jesus sich keineswegs übergeben, sondern vielmehr das Gespräch auch mit Rechtsextremen und Rassisten suchen?
Lag Jesus überhaupt immer richtig?
Während die anderen sich darüber stritten, wer von ihnen am besten weiß, was Jesus tun würde, kreiste in meinem Kopf eine ganz andere Frage: Nämlich die, ob Jesus denn überhaupt immer richtig lag? Also mal angenommen, wir wüssten, was er heute angesichts der Gefahr von Rechtsaußen tun würde - könnten wir denn sicher sein, dass es dass Richtige wäre? Oder hat Jesus sich womöglich auch mal geirrt?
Meine Skepsis kommt daher, dass mir tatsächlich manche von Jesu Ratschlägen, so wie sie in der Bibel stehen, diskussionswürdig erscheinen. Soll man echt die andere Wange hinhalten, wenn man geschlagen wird? Und was, wenn der Schläger sich dadurch ermutigt fühlt und auch noch andere verletzt? Und soll ich wirklich so sorglos in den Tag hinein leben wie die Lilien auf dem Felde und mich darauf verlassen, dass Gott schon für mich sorgt? Macht mein kleines finanzielles Polster mich etwa zu einer schlechten Christin?
Die christliche Ethik ist komplex
Die christliche Ethik ist komplex. Sie ist nicht einfach nur dasselbe wie eine humanistisch-rationale Vernunft, und auch nicht offensichtlich immer auf der moralisch richtigen Seite. Sie ist radikal, und vielleicht manchmal zu radikal. Zum Beispiel wenn das Tötungsverbot aus den zehn Geboten so streng ausgelegt wird, dass nicht nur Mord verboten ist, wie im Judentum, sondern jegliches Töten, und zwar generell, ganz egal aus welchen Gründen. Ehrlich gesagt, ich sehe das anders, zum Beispiel im Fall von Abtreibungen bei unerwünschten Schwangerschaften oder von Suiziden im Fall eines schweren Leidens am Lebensende. Christliche Ethik fordert Kontroversen heraus. Und so manches an ihr widerspricht dem gesunden Menschenverstand. Paulus hatte recht, als er schrieb, dass das Christentum den Heiden oft wie eine Torheit erschien. Das tut es heute noch.
Das Argument "Was würde Jesus dazu sagen" ist in Debatten also nicht unbedingt überzeugend. Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland gehört sowieso keiner christlichen Kirche mehr an. Aber auch viele wie ich, die sich durchaus als christlich verstehen, bilden sich ihre Meinung lieber selbst. Jesus lebte vor zweitausend Jahren, das ist lange her. Und er war nicht nur wahrer Gott, sondern auch wahrer Mensch, dazu auch noch ein Mann in einer patriarchalen Gesellschaft und als solcher auch ein Kind seiner Zeit.
Verantwortung, eine eigene ethische Position zu finden
Worüber Jesus gekotzt hätte und worüber gejubelt, das bleibt nicht nur sowieso Spekulation, es kann mir auch nicht die Verantwortung dafür abnehmen, zu einer eigenen ethischen Position zu finden. Das christliche Erbe dient mir als Inspiration, als Rückbindung an eine Tradition, als Anregung. Ich lese gerne die Bibel, ihre Geschichten sind interessant. Und ich liebe Jesusfilme, in denen darüber spekuliert wird, was für ein Typ er wohl gewesen ist. Aber das alles entbindet mich nicht von der Pflicht, konkrete ethische Fragen, die sich hier und heute stellen, selber verantwortlich zu beurteilen und entsprechend zu handeln.
Es kommt nicht darauf an, wie Jesus sich gegenüber der AfD und der Gefahr, die von ihr und anderen rechtsextremen Kräften für die Demokratie ausgeht, verhalten hätte. Sondern es kommt darauf an, wie wir uns verhalten.