Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag Jesus m/w/d - ein Denkanstoß

Als Christ*innen müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass Jesus auch ein geschlechtliches Wesen ist, meint Antje Schrupp.

Von: Antje Schrupp

Stand: 29.12.2024 14:58 Uhr

Zum Sonntag: Jesus m/w/d - ein Denkanstoß

Treffen sich zwei Menschen auf der Straße. Die eine Person schiebt einen Kinderwagen, die andere beugt sich zum Baby hinunter und fragt: "Ist es ein Junge oder ein Mädchen?" Die Antwort: "Ich weiß nicht, es kann noch nicht sprechen." Der Witz soll zeigen, dass Geschlechtsidentität nicht einfach von den Genitalien abhängt, sondern ein komplexes Merkmal ist, das nur die Person selbst bestimmen kann.

Aber wie ist es eigentlich mit dem Kind in der Krippe, dem "Jesuskind"? Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Vielleicht rollen Sie jetzt innerlich mit den Augen: Ist es nicht mal genug mit diesem Gender-Thema? Muss jetzt auch noch das Geschlecht Jesu hinterfragt werden? Jesus war ein Mann. Da gibt es doch gar nichts zu diskutieren! Das stimmt einerseits. Andererseits ist es schade, dass das Thema "Gender" oft so emotional diskutiert wird. Denn sachlich betrachtet, bietet es viel Spannendes, gerade auch in Bezug auf Jesus.

Anselm Schubert, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg, hat dazu kürzlich ein Buch veröffentlicht: Christus männlich/weiblich/divers. Denn schon seit der Entstehung des Christentums wird darüber diskutiert, welche Bedeutung Jesu Geschlecht hat. Im 5. Jahrhundert entschied ein Kirchenkonzil, dass Jesus Christus zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott sei. Viele verstanden das so, dass der Mensch Jesus von Nazareth ein Mann war, Christus der Erlöser jedoch geschlechtslos. Manche waren überzeugt, dass der Jesu Körper keine Genitalien gehabt hätte, ähnlich wie die Engel. Generell war man in der Antike bemüht, Christi Männlichkeit nicht allzu sehr zu betonen, damit seine Rolle als Erlöser für alle Menschen nicht gefährdet wird. Manchmal wurden ihm sogar eigens weibliche Attribute wie nährende Brüste zugeschrieben.

Aber es gab auch andere Ideen. Im Mittelalter kam das Argument auf, dass Jesus als Mann nur einen Teil der Menschheit verkörpern könne. Deshalb sei noch eine zweite Inkarnation nötig, diesmal aber in weiblicher Gestalt. In Mailand gab es im 13. Jahrhundert eine spirituelle Gemeinschaft, die die böhmische Königstochter Wilhelmina als Inkarnation Gottes verehrte; ihre Anführer:innen wurden um 1300 von der Inquisition getötet. Im 18. und 19. Jahrhundert dann erschien Jesus plötzlich als nicht mehr "männlich" genug. Denn nach den starren Geschlechternormen, die sich in dieser Zeit herausbildeten, galten viele seiner Eigenschaften als "typisch weiblich", wie Friedfertigkeit, Sanftmut und Empathie.

Und so geht es immer weiter. Eine Religion, die Gott nicht als fernes, neutrales Wesen versteht, sondern glaubt, dass Gott Mensch geworden ist, kann sich solchen Debatten nicht entziehen. Als Christ*innen müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass Jesus eben auch ein geschlechtliches Wesen ist - wohl wissend, dass es auf die damit verbundenen Fragen keine endgültige Antwort geben kann. Die menschliche Natur Christi fordert uns immer wieder aufs Neue heraus.


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