Zum Sonntag Ent-Spannen ist angesagt
Wir meinen immer wir müssten jede freie Zeit nutzen. Unsere To-do-Listen werden länger und länger. Dabei wäre es doch schön, einfach mal vor sich hin sinnlosen, meint Christian Kopp, Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern.
Im Sommer ist Bayern immer ein bisschen anders. In den Schulferien sind viele unterwegs: sich erholen, verreisen, Kräfte sammeln für den Herbst. Ent-Spannen ist angesagt. In dieser (etwas anderen) Zeit wird etwas wichtig, was sonst zu kurz kommt: Die Zeit, die nicht genutzt wird. Die ungenutzte Zeit. "Ich sinnlose vor mich hin": so hat Gerhard Polt einmal ausgedrückt, wie er seine freie Zeit nutzt: "Ich sinnlose vor mich hin, und das mit Begeisterung. Wenn nichts passiert, passiert ja nur scheinbar nichts, weil irgendwas passiert ja immer ... ."
Wir meinen wir müssten ganz viel tun.
Können Sie das: Vor sich hin sinn-losen? Einfach nur dasitzen und schauen? Ich merke, wie mich mein Leben doch sehr beschäftigt. Schon allein mein Smartphone stellt mir dauernd Fragen: Was passiert gerade? Wie wird das Wetter? Wer hat sich gemeldet? Wer will was? Was könnte interessant sein? Vermutlich gibt es keine Generation, die so gut informiert ist wie unsere Generation. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht über die Beschleunigung, die Menschen der Gegenwart zu schaffen macht. Wir meinen wir müssten ganz viel tun. Unsere to-do-Listen werden länger und länger. Viele haben Angst, nicht gut oder nicht schnell genug zu sein. Auf den Abhak-Listen steht neben den beruflichen oder privaten Aufgaben auch der Besuch im Yogstudio. Die digitale Uhr am Handgelenk zeigt genau, ob 10.000 Schritte heute schon erreicht sind. Und wenn nicht, dann aber los und noch mal eine Runde um den Block gehen.
Das Buch Kohelet im Alten Testament: Alles hat seine Zeit
Die Welt, alle Menschen brauchen ein hörendes Herz, sagt Rosa. Menschen sind Wesen, die von Resonanz leben. Vom Kontakt. Der Welt zuhören. Dieses Hören kommt zu kurz. Das Buch Kohelet im Alten Testament ist ein richtiges Handbuch der Lebensweisheit. Ein ganzes Kapitel kreist um nur einen Gedanken: Alles hat seine Zeit. Egal was. In einem Leben geschieht alles Mögliche. Und unsere Aufgabe ist es, das alles irgendwie wahrzunehmen, einzuordnen, den Ereignissen des Lebens einen guten Platz und angemessenen Rahmen zu geben. Es geht darum, das Leben gut zu leben.
Die christliche Religion lehrt Menschen das Hören
Aus christlicher Sicht gehören der Respekt vor allen anderen Menschen und Lebensentwürfen dazu und die Wertschätzung. Die christliche Religion lehrt Menschen (jeden Tag) das Hören. Sich öffnen. Mit dem Herzen hören. Also echt zuhören und sich die Geschichten von anderen wirklich zu Herzen nehmen, ohne sie zu den eigenen zu machen. Diese Kunst der Unterscheidung wird immer wichtiger.
Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA kommt in den nächsten Wochen in die entscheidende Phase. Die Welt wird dort wieder sehr viel Unsinn und Unwahrheiten zu hören bekommen. Es ist so einfach, mit populistischen und falschen Behauptungen Aufmerksamkeit zu bekommen. Umso wichtiger ist es, sich die Zeit für die Unterscheidung der Geister zu nehmen. Zeit zum Genau-Hinhören und Zuhören und zu unterscheiden.
Ein hörendes Herz bekommt die Person, die sich die Zeit zum Hören nimmt.
Ein hörendes Herz bekommt die Person, die sich die Zeit zum Hören nimmt. Ich finde, dafür ist der Sommer ein hervorragender Trainingsmonat. Im Urlaub oder in der Arbeit, wenn die anderen im Urlaub sind, am See oder auf dem Berg. Einfach vor sich hin sinnlosen. Manchmal reicht es schon einfach so da zu sitzen und in die Welt zu schauen und zu lauschen. Und in den Begegnungen einfach gut zu hören. Meistens fangen dann auch die Gesprächspartner an, mir selber besser zuzuhören.
Und jetzt im September geht es darum, diese Routinen auch in den Alltag zu übertragen. Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen. Astrid Lindgren hat das geschrieben. Ich mag mich mit ihr und Gerhard Polt und dem Prediger aus der Bibel auf eine Bank setzen, ein bisschen Schatten wär schön und dann sinn-losen wir vor uns hin. Mögen Sie sich dazusetzen?