Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag Warum zur Solidarität auch Fordern gehört

Solidarität ist keine Einbahnstraße, sondern ein Geben und Nehmen. Es braucht Respekt gegenüber denen, die bedürftig sind, ebenso wie Respekt gegenüber den Vielen, die für die Hilfe für andere sorgen, meint Hans-Joachim Vieweger.

Von: Hans-Joachim Vieweger

Stand: 12.07.2024

Zum Sonntag: Warum zur Solidarität auch Fordern gehört

Mitten in die Diskussion um Sparvorgaben beim Haushalt und schärfere Bürgergeld-Regeln platzte in der vergangenen Woche eine interessante Gerichtsentscheidung. Die 18. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts hat geurteilt, dass die Bafög-Sätze im Jahr 2021 zu niedrig waren - es sei sogar grundgesetzwidrig, dass damals weniger Bafög als Arbeitslosengeld 2, vulgo: Hartz IV, gezahlt wurde. Nun kommt der Fall vor das Bundesverfassungsgericht.

Mal ganz unabhängig von dem naheliegenden Einwand, dass die Regeln bei den verschiedenen Sozialleistungen völlig unterschiedlich sind und die klagende Medizinstudentin den zeitweisen Konsumverzicht als Ärztin später wohl einmal ausgleichen kann - die Klage und das nun gefällte Urteil sind meines Erachtens symptomatisch für ein Anspruchsdenken, das in unserem Land mehr und mehr um sich greift. Ein Denken, das gekennzeichnet ist durch die Frage: Was steht mir zu? Worauf habe ich ein Recht? Dass andere dafür aufkommen müssen - egal.

Jetzt mag man gerade aus christlicher Perspektive einwenden, dass Solidarität doch wichtig ist für das Miteinander einer Gesellschaft. Richtig. Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße, sondern ein Geben und Nehmen. Es braucht Respekt gegenüber denen, die bedürftig sind, ebenso wie Respekt gegenüber denjenigen, die für die Hilfe für andere sorgen. Das kennt wahrscheinlich jeder aus dem persönlichen Umfeld: Wir sind gerne bereit, Menschen aus der eigenen Familie zu helfen. Doch niemand von uns lässt sich gerne ausnutzen. Wenn überhaupt keine Eigeninitiative erfolgt - im Rahmen des jeweils Möglichen, wohlgemerkt, dann erlahmt die Hilfsbereitschaft.

So verstehe ich auch den Satz von Paulus aus der Bibel: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen - das heißt: jeder soll im Rahmen seiner Möglichkeiten einen Beitrag zur eigenen Versorgung leisten. Das gilt auch für die Solidarität im Großen. Deshalb ist es mehr als angemessen, dass beim so genannten Bürgergeld jetzt wieder mehr das Fordern in den Vordergrund gestellt wird und nicht mehr nur das Fördern. Es ist nur gerecht, dass diejenigen, die das System ausnutzen, sei es, indem sie sich weigern, angebotene Jobs zu übernehmen, sei es, indem sie nebenbei schwarzarbeiten, schärfer sanktioniert werden. Sonst wird Solidarität beschädigt.

Solidarität gilt selbstverständlich auch im ganz Großen: Es ist angemessen, wenn wir als Menschen in einem reichen Land Menschen in ärmeren Ländern der Welt helfen. Und doch sind Kürzungen bei der Entwicklungshilfe, wie sie nun geplant sind, kein Ausweis von mangelnder Solidarität. Auch Entwicklungshilfe muss immer wieder auf ihre Nachhaltigkeit geprüft werden. Sie kann, ebenso wie Bürgergeld oder andere staatliche Leistungen zu einer Falle werden - dann nämlich, wenn Menschen die Motivation zur Eigeninitiative genommen wird. Das ist nicht nur ökonomisch fatal, sondern auch menschlich. Schon Kindern hilft es nicht, wenn man es ihnen ständig nur leicht macht, wenn man sie in Watte packt und vor Herausforderungen, die womöglich mit Niederlagen verbunden sein können, beschützt.

Fördern ist wichtig, alle Eltern wissen das. Aber eben auch Fordern. Menschen brauchen auch mal den Stups, Probleme anzugehen, Herausforderungen anzupacken. Auch das gehört zum christlichen Menschenbild und zur Würde jedes Einzelnen - es sollte in der Debatte um die Ausgestaltung des Sozialstaats nicht vergessen werden.


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