Zum Sonntag Populisten mit Messiasversprechen
Alle Menschen sind im Blick. Das ist das stärkste Kriterium, um nicht auf den falschen Retter zu setzen, sagt Kardinal Reinhard Marx.
"Die Völker werden bestürzt und ratlos sein. - Die Menschen werden vor Angst vergehen. - Nehmt euch in Acht." Diese düsteren Bilder aus dem Lukas-Evangelium des ersten Adventssonntags könnten auch Schlagzeilen der letzten Wochen sein: Der künftige Präsident der USA hat zwar für die Vereinigten Staaten ein Goldenes Zeitalter ausgerufen, macht aber mit Ängsten und Sorgen der Menschen Politik und sammelt Gefolgsleute, die seine Utopie stärken. Es ist ein Spiel mit der Angst, um sich selbst zu dem Retter zu inszenieren, auf den alle warten. Mit diesem politischen Messias soll alles besser werden. Das ist das große Heilsversprechen. Es gibt Menschen, die daran glauben - darunter viele Christen.
Auch in Europa und in Deutschland hören wir Stimmen, die versprechen, dass alles besser würde, wenn man sich nur an sie hielte. Populisten und Nationalisten schüren Angst, Unsicherheit, Ungerechtigkeit und verstärken Polarisierungen, um Macht zu gewinnen. Diese politischen Retter-Figuren haben sehr oft eines gemeinsam: Das Wort, das sie am meisten benutzen, heißt ICH. ICH. Und nochmals ICH.
Die Idee, dass ein mächtiger Herrscher ein goldenes Zeitalter schaffen will, ist nicht neu. Das trieb auch Kaiser Augustus an, der sich zur Zeit der Geburt Jesu geradezu als Gott verehren ließ und mit Gewalt und Unterdrückung, mit Steuern und Zöllen seine Herrschaft sichern wollte. Doch dann kam ein Kind zur Welt, das bis heute viel Aufmerksamkeit bekommt, das Menschen zusammenführt und Frieden bringt. Kein selbsternannter Messias, sondern ein von Gott gesandter Retter, der die Welt nachhaltig verändert.
Auf das Kommen dieses Retters bereiten wir uns im Advent vor, wir schauen sehnlichst auf das Kind in der Krippe: damit unser Leben und unsere Welt heil werden; damit unsere Ängste überwunden und Hoffnung möglich wird; damit endlich wieder Frieden wird - in der Ukraine, im Nahen Osten, im Sudan und in Ecuador, an so vielen Orten der Welt - und auch in uns selbst.
Zugleich wissen wir sehr genau, dass die Welt nicht wie durch ein Wunder gut wird mit der Geburt dieses Kindes, dass wir die Hände eben nicht in den Schoß legen dürfen, dass alle weiter daran arbeiten müssen, die Welt für alle besser zu machen.
Das Kind in der Krippe schenkt dafür eine Hoffnung, die stark und frei macht. Eine Hoffnung, die nicht verdient ist, sondern geschenkt. Eine Hoffnung für jeden Menschen. Wir warten und hoffen auf einen Erlöser, dem es um das WIR geht, um die Gemeinschaft aller Menschen, um Versöhnung, Gerechtigkeit und Liebe. Alle Menschen sind im Blick!
Das ist auch das stärkste Kriterium, um nicht auf den falschen Retter zu setzen. Denn diese Haltung - Menschlichkeit zuerst - bringt auch in schweren Zeiten Hoffnung, stärkt die Menschen und führt zur wahren Freiheit. Im Lukas-Evangelium dieses Sonntags heißt es eben auch: "Dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe."