Zum Sonntag Reformation
Wir müssen und wir werden reden, das ist für den evangelischen Landesbischof Christian Kopp eines der wichtigsten Ergebnisse der Weltsynode in Rom. Reden über die Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Und über verschiedene andere Fragen.
In vielen evangelischen Kirchengemeinden wird am Sonntag nach dem Reformationstag das Reformationsfest gefeiert. Mit "Ein feste Burg ist unser Gott" und kritischen Fragen - was muss heute reformiert werden?
Am 31. Oktober 1517 soll Martin Luther 95 Thesen zur Erneuerung der Kirche an die Türe der Wittenberger Schlosskirche genagelt haben. Nachfolgende Generationen malen sich diese Szene als filmreife Protestaktion mit Showeffekt aus. Und die Lutheraner und Reformierten werden seitdem Protestanten genannt. Mir gefällt das Wort Reformer besser. Die kirchliche Erneuerung im Mittelalter zielte auf Reformen in der mittelalterlichen katholischen Kirche.
Ein Hauch von Reform und Unerwartetem wehte am Samstag vor einer Woche durch den Vatikan. Die Weltsynode in Rom sendet zaghaft Dialogsignale in alle Welt. Und ein starkes Zeichen gegen reaktionäre Tendenzen in der Kirche. Wir müssen und wir werden reden, das ist für mich eines der wichtigsten Ergebnisse der Weltsynode in Rom. Reden über die Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Und über verschiedene andere Fragen. Für die katholischen Christinnen und Christen in Deutschland mögen das sehr schwache Signale sein, für eine Weltkirche sind das interessante Zeichen. Reformgeist ist in Rom wieder zu spüren.
Die Kirche gibt es nur in Bewegung. Sie braucht Weiterentwicklung und Reformen. Weil sie Kirche FÜR ist. Und zwar nicht für sich selbst. Sie ist Kirche für die Menschen. Und das Leben von Menschen verändert sich ständig, also, muss sich auch die Kirche verändern. Das erwarten die Menschen. Das erwarte ich auch. Ich erwarte von der Evangelischen und von der katholischen Kirche Bewegung. Entwickle dich weiter, Mutter Kirche. Entwickle dich mit uns weiter…
In einer aktuellen Befragung sagt die Mehrzahl der Befragten, dass die Kirchen auf genauso einem Weg sind. Ich sehe das auch. Bei Reformen gibt es immer die, denen die bisher erreichten Schritte zu klein sind und die, denen schon kleinste Veränderungen Sorgen machen. Ich finde, es braucht immer eine gute Balance zwischen Tradition und Innovation. Nichts verändern bewirkt Starrheit, zu viel oder zu schnell reformieren, überfordert die meisten. Reformstress ist das passende Wort dafür.
Die Welt ist gerade eine Welt im Reformstress. So ganz genau weiß niemand, in welche Richtung sich alles weiterentwickelt. Es verändert sich viel, was für viele Menschen feste Überzeugung war. Die stolze Automarke Volkswagen schließt Werke. In den USA könnte nächste Woche ein Präsident wiedergewählt werden, der nachweislich lügt. Die Geschwindigkeit der Digitalisierung der ganzen Welt hat unüberschaubare Folgen für unser alltägliches Leben. Wo bleiben Jugendliche und Erwachsene mit ihren persönlichen Anliegen in dieser Welt der Reformen?
Mich beruhigt in diesen unruhigen Zeiten, dass auch Menschen in anderen Jahrhunderten sehr großen Herausforderungen gegenüberstanden. Auch da gab es gesellschaftliche Krisen, auch da wurde gelogen, auch da gab es wirtschaftliche Einbrüche. Aber sie haben immer wieder Wege gefunden, die in eine bessere Zukunft führen. Die Welt verbessern - einer der Reformatoren hat das als die Aufgabe der Kirche benannt. Für mich gehört zu diesen Aufgaben der Verbesserung die Hoffnung. Die Hoffnung, die Menschen am Leben hält. Diese Hoffnung wird durch ganz Verschiedenes genährt. Für mich gehört zum Wichtigsten, jeden Tag etwas zum laut Lachen zu finden. Dazu finden sich in meinem Leben viele Anlässe, und oft lache ich über meine eigenen Kuriositäten. Oder ich gehe ein paar Schritte durch die Straßen oder im Park und staune über die Farben und über gelbgoldene Baumkronen und leuchtende Hagebutten im Herbstlicht. Hoffnungsbilder, die ich in den Winter mitnehme.
Die Hoffnung nicht verlieren, die Hoffnung leben - das ist eines der Grundmotive des christlichen Glaubens. Zur Zeit der Reformation war dieses Grundmotiv in der Kirche ziemlich erstickt unter kirchlichen Vorschriften. Hoffnung muss atmen. Sich entfalten. Und sich ausbreiten. Menschen können einander dabei sehr gut unterstützen. Dann steckt Hoffnung sogar an. Meine Hoffnung kann auch deine Hoffnung nähren. Und mit noch mehr Hoffnung lässt sich auch besser reformieren. Es wäre schön, wenn dieser Reformations-Sonntag ein Sonntag der Hoffnung wird.