Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag: Das schöne Gesicht der Gemeinschaft: "You’ll never walk alone!"

Die Europameisterschaft steht vor der Tür. Deutschland ist im Fußball-Fieber. Und selbst den größten FC Bayern Fans nötigt der Erfolg von Bayer Leverkusen Respekt ab. Was fasziniert viele Menschen so an diesem Sport? Es ist "das schöne Gesicht der Gemeinschaft", findet Sr. Nicole Grochowina. Sr. Nicole von der evangelischen Christusbruderschaft im oberfränkischen Selbitz ist Historikerin an der FAU Erlangen und heute unsere Gast-Kommentatorin:

Von: Nicole Grochowina

Stand: 23.05.2024

Zum Sonntag: Das schöne Gesicht der Gemeinschaft: "You’ll never walk alone"

Gänsehaut-Moment an der Anfield-Road: Das ganze Stadion erhebt sich und stimmt eine große Fußball-Hymne an: "You’ll never walk alone". Tausende Stimmen singen für den Einen, für „the normal one“, wie sich der Trainer von Liverpool ganz am Anfang genannt hat. Und nun – neun Jahre, acht Titel und viele Emotionen später – verabschieden die Fans Jürgen Klopp. Noch einmal wird die Gemeinschaft heraufbeschworen, noch einmal erschallt im Stadion: „You’ll never walk alone“ – Du wirst nie allein unterwegs sein – und Jürgen Klopp dankt es den Fans mit einer großen Rede und mit einem T-Shirt, auf dem steht: „I’ll never walk alone again“.  Ich werde jetzt nie wieder allein unterwegs sein.

Fußball ist ein Sport der großen Emotionen

Fußball ist ein Sport der großen Emotionen. Der Abschied in Liverpool zeigt dies, aber auch gestern das Pokalfinale in Berlin, sowie die Aufstiegsfeiern auf St. Pauli und in Kiel. Diese Feiern sind emotional und voller gemeinschaftlichem Jubel.

Gemeinschaft – das ist in diesen Tagen ein großes Thema. Gemeinschaft wird zelebriert wie beim Fußball. Aber sie wird auch aufgekündigt, wenn in einer Gesellschaft Menschen um ihre Gesundheit fürchten müssen, die Wahlplakate aufhängen oder zu Wahlveranstaltungen einladen. In solchen Momenten zeigt die Gemeinschaft ihr hässliches Gesicht. Sie zeigt, wozu sie fähig ist, wenn sie aufgehetzt und ihr demokratisches Fundament untergraben wird. Das ist hässlich. So hässlich wie der völkisch-nationalistische Ton, der inzwischen in unsere Parlamente eingebracht wird – und so hässlich wie das Verhalten von AfD-Abgeordneten im EU-Parlament, die wahlweise für China spionieren, von Russland Geld nehmen oder beides dulden. Leider – so scheint es mir – sticht das hässliche Bild von Gemeinschaft allzu oft hervor, auch rund um Fußballspiele.

Umso wichtiger ist es, auch die andere Seite zu sehen: die Möglichkeiten, ja, selbst die Schönheit von Gemeinschaft. „You’ll never walk alone“ ist auch deshalb so ein Schlager im Fußball, weil hier ein einzigartiges Versprechen besungen wird – nämlich das Versprechen, miteinander durch „dick und dünn“ zu gehen und selbst die Tränen der Niederlage miteinander zu weinen. Zugegeben, das ist ein recht romantisches Bild von Gemeinschaft, aber ich halte es hoch. Ich halte es hoch, denn ich weigere mich, denjenigen das Feld zu überlassen, die das hässliche Bild von Gemeinschaft wollen und in Parlamenten, auf „social media“ oder in Stadien propagieren. Und so feiere ich den FC St. Pauli dafür, der seine Aufstiegsfeier unter das Motto gestellt hat: „Demokratie und Clubkultur“. Zahlreiche Initiativen und Demokratiebewegungen sind der Einladung des Vereins gefolgt und haben im Herzen von Hamburg ein starkes Zeichen für eine Gemeinschaft gesetzt, die inklusiv ist; und die daran festhält, dass die Demokratie die Staatsform ist, die am ehesten Partizipation und eine Gesellschaft ohne Angst ermöglicht. Aber: Demokratische Kultur fällt nicht vom Himmel, sondern braucht Pflege: im Alltag, in Gesprächen – und auch rund um den Fußballplatz. Doch dann zeigt sich das schöne Gesicht der Gemeinschaft und löst das Versprechen ein, mit dem die Liverpool-Fans Jürgen Klopp verabschiedet haben: „You’ll never walk alone!“


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