Zum Sonntag Der olympische Moment
Bei den Olympischen Spielen in Paris gab es nicht nur sportliche Höchstleistungen zu bestaunen, sondern auch menschliche, meint Sr. Nicole Grochowina von der evangelischen Christusbruderschaft im oberfränkischen Selbitz.
Es war einer der berührendsten Momente bei den Olympischen Spielen in Paris: die Siegerehrung der brasilianischen Turnerin Rebeca Andrade. Im Bodenfinale hat sie mit hauchdünnem Vorsprung die große Simone Biles besiegt. Und dann passierte es: Bei der Siegerehrung verneigten sich Biles und ihre Teamkollegin Jordon Chiles vor Rebecca Andrade. Sie verneigten sich vor einer großartigen sportlichen Leistung und sie verneigten sich zugleich vor einer großartigen Leidenschaft und Hingabe, denn: Andrade hat sehr viel auf sich genommen, um überhaupt turnen zu können. Und nun dieser Triumph in Paris und diese einzigartige Geste auf dem Podest.
Doch damit nicht genug – diese Siegerehrung war zugleich auch hoch politisch, denn: Zum ersten Mal gab es beim olympischen Turnen ein "all black"-Podium, also eine Siegerehrung mit ausschließlich afroamerikanischen und afro-latino Menschen. Das war eine Botschaft an die Welt, dass sich niemand mit Hass und Rassismus abfinden muss und abfinden darf. Und es war zugleich eine Botschaft an alle, die dies dennoch erleben. Ihnen allen sagte Andrade anschließend in Interview: Sie alle drei, die auf dem Podium gestanden hätten, sie hätten bewiesen, was möglich sei.
Olympia ist mit Träumen behaftet. Und es ist leicht, diese Träume zu belächeln und solche ikonischen Bilder wie diese Siegerehrung lächerlich zu machen. Doch eben dies verneint, dass wir gerade in der Zeit heute solche Bilder von Respekt und Anerkennung ganz dringend brauchen. Wir brauchen sie, weil sie kraftvolle Visionen sind, wie es gehen kann in unserer Welt; und dass es sinnvoll ist, auch weiterhin leidenschaftlich für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit einzutreten. Solche Bilder machen Mut, denn sie überlassen unsere Welt nicht denen, die den Traum von Miteinander und Respekt nicht teilen, sondern zerstören.
Und deshalb: In einer Zeit, in der die USA auf eine Präsidentschaftswahl zugehen und sich der Republikaner Donald Trump nicht scheut, die amtierende Vizepräsidentin Kamala Harris unter dem Jubel seiner Anhänger rassistisch zu beleidigen; und in einer Zeit, in der sich in England Menschen von Rechtsextremen mit Lügen und Falschinformationen aufstacheln lassen – in einer solchen Zeit ist dieses Podium aus Paris ein starkes Zeichen der Hoffnung. Es ist ein Zeichen für die USA, für England, es ist aber auch ein Zeichen für uns hier in Deutschland, wo der politische Diskurs zunehmend dem ausgrenzenden und abwertenden AfD-Sprech verfällt; und wo in dieser Woche erneut ein Kommunalpolitiker aus Sachsen zurückgetreten ist, weil er bedroht worden ist und schlicht um sein Leben fürchtet. Es darf kein Traum sein, dass politisch engagierte Menschen respektiert und nicht als Freiwild gesehen werden. Es darf kein Traum sein, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass es sich verbietet, das Leben anderer Menschen zu bedrohen oder zu vernichten. Das darf kein Traum sein.
Bei der Siegerehrung in Paris ist deutlich geworden, dass es auch anders geht. Es geht anders in kleinen und großen Gesten, im Alltag und auf der großen Sportbühne. Es geht anders – und das ist nicht zu belächeln, sondern zu feiern – und: Daraus ist zu leben.