Zum Sonntag Franziskus und die Ukraine
Papst Franziskus könnte als Oberhaupt der Kirche Brücken bauen. Den Menschen in der Ukraine fällt er aber mit seinen Äußerungen in den Rücken und liefert der russischen Propaganda Material. Doch auch der Papst ist eben nur der Papst, sagt Nina Achminow.
Morgen beginnt die Karwoche. Ganz schön dramatisch, diese Woche! Am Palmsonntag der laute Jubel, als Jesus, auf einem Esel reitend, in Jerusalem einzieht. Die Menschen legen ihre Kleider auf den Boden, um den Weg zu verschönern. Was für ein Bild! Und dann der Stimmungsumschwung. Wenige Tage später ist es dasselbe Volk, das seine Kreuzigung fordert. “Hosianna” und “Kreuziget ihn” - das liegt sprichwörtlich nahe beieinander.
In den Zeitungen kursierten Karikaturen des Papstes
Vorige Woche kursierte eine Karikatur des Papstes in den Social Media - nicht in weiß, sondern in weiß, blau, rot - den Farben der russischen Flagge. Den Farben Putins. Eine andere Karikatur zeigt ihn mit dem Z des russischen Sieges anstelle des silbernen Pektorales. In einem Interview hatte der Papst, ja, was eigentlich? Irgendetwas vom Mut, die weiße Fahne zu schwingen und zu verhandeln, damit es nicht noch schlimmer wird, gesagt. Was genau er gesagt hat, das ist im allgemeinen Aufschrei untergegangen. Und seitdem wird gedeutet. Die Bischofskonferenz spricht von unglücklicher Wortwahl, der Vatikan von ungeschickten Fragen, Sahra Wagenknecht dagegen lobt den Papst. Lässt der sich vom Abwehrreflex gegen die als imperialistisch gebrandmarkte Führungsmacht des Westens leiten, wie in einer Frankfurter Zeitung analysiert wird? Hat die Ukraine ohnehin verloren, so dass es christlich nächstenlieb nur um Schadensbegrenzung gehen kann? Oder gibt der Klügere nach? Taugt dieses Bild? Weiß der Papst wovon er redet - und interessiert es mich noch, was er redet?
Denn ich bin katholisch. Katholisch aufgewachsen, zornig ausgetreten während des Pontifikats von Johannes Paul II, und sehr reflektiert wiedereingetreten, als Franziskus gerade Papst geworden war. Und zugegeben, ja, meine Bereitschaft, mich wieder zu dieser Kirche zu bekennen, hing auch mit diesem neuen Papst zusammen, der die Fenster zu öffnen und kräftig durchzulüften versprach. Ja, ich habe ihn sehr geschätzt. Und jetzt sowas.
Es ist bitter, wenn der Papst der russischen Propaganda Material liefert
Wenn Russland den Krieg beendet, ist er beendet. Wenn die Ukraine den Krieg beendet, ist die Ukraine beendet. Das sagten mir ukrainische Freunde, die sich vor diesem Krieg noch als russische Ukrainer empfunden haben. Und auch wenn ich mir für alle Menschen wünsche, dass sie schlicht am Leben bleiben - wenn´s nicht anders geht, dann schlimmstenfalls halt unter Besatzung - habe ich großen Respekt vor denjenigen, die den Angreifern Widerstand leisten. Dass der Pontifex, der Brückenbauer sein sollte und bis zu einem gewissen Grad vielleicht auch hätte sein können, nun einseitig diesen Menschen in den Rücken fällt und der russischen Propaganda Material liefert, das die natürlich mit Genuss ausschlachtet - das ist bitter. Aber es ist eben auch nicht mehr als das.
Vor vielen Jahrzehnten - ich war ein Kind, mir wurde die Geschichte später pointiert erzählt - schrieb ein Papst eine Enzyklika zu einem Thema, das ihn persönlich nicht betraf. Die Enzyklika ging in die Geschichte ein unter dem Namen Pillen - Enzyklika. Recht bald danach schrieb der damalige Erzbischof von München und Freising einen Hirtenbrief zum Thema: “was ist eine Enzyklika”. Salopp gesagt: eine Meinungsäußerung des Papstes. Man sollte sie als Katholik:in wohlwollend wahrnehmen. Ein Glaubensinhalt ist sie nicht. Auch Päpste können sich irren. Sogar gewaltig.
Die Mühe, sich eine eigene Meinung zu bilden, kann uns niemand abnehmen
Bin ich enttäuscht von diesem Papst? Ist es Zeit für einen Stimmungsumschwung? Meine ich, mich schämen zu müssen für den Papst? Nein. Kein Hosianna. Und auch kein: Kreuziget ihn. Beides wäre viel zu hoch gegriffen. Denn der Papst ist - nun ja: der Papst. Kein Guru. Und kein Führer. Geistliches Oberhaupt, das ja. Und öffentliche Person. Die sich halt äußert.
Die Mühe, uns aus möglichst vielen und möglichst überprüfbaren Quellen eine Meinung zu bilden, diese Mühe kann uns, wenn wir ehrlich sind, niemand abnehmen. Kein Guru, kein Führer. Und auch kein Papst.