Bayern 2 - Zum Sonntag


3

Zum Sonntag Begeisterung

Wir haben ein verkrampftes Verhältnis zur Begeisterung. Lauter Jubel, gemeinsames Singen oder auch Skandieren kocht Emotionen hoch, und aus unserer Geschichte haben wir sehr gute Gründe, dem gegenüber skeptisch zu sein. Das schwierige Verhältnis zu laut geäußerter Begeisterung durchzieht die Gesellschaft genauso wie die Kirchen, beobachtet Nina Achminow.

Von: Nina Achminow

Stand: 30.06.2024

Zum Sonntag: Begeisterung

Jetzt sind sie wieder überall, die Fußballfans. Stolz mit Trikots in Nationalfarben, mit Flaggen und mit viel Begeisterung! Fußball ist mir fremd, Begeisterung kenne ich gut. Und das Thema Nationalstolz macht mich nachdenklich. Denn ich bin Deutsche, und das wurde ich freiwillig. Als Migrantenkind habe ich mich mit Anfang zwanzig einbürgern lassen. Kann ich darauf stolz sein? Wofür kann ich mich begeistern? Und wo kann, wo darf ich das zeigen? Eine Freundin meiner Tochter spielt in der Bundesliga - nein, nicht Fußball, sondern irgendeine ziemlich unbekannte Ballsportart, aber auch die führen internationale Wettbewerbe durch, und manche der Trainer, empört sie sich, singen dann die Nationalhymne nicht mit. Ich verstehe ihre Empörung - und zugleich, ohne die konkreten Personen zu kennen, irgendwie auch die Skepsis dieser Trainer. Mit dem Singen ist das ja so eine Sache. Ich erinnere mich an einen Schulgottesdienst, bei dem wir "Laudato si" sangen. Das war lange vor dem Missbrauchsskandal um den Autor - aber ich kassierte einen irritierten Blick von einer Lehrerin. Sicher nicht, weil ich so schlecht singe, sondern weil ich so hörbar begeistert war in dem Moment - und damit aus dem Rahmen fiel. Es ist, scheint mir, ein deutscher Reflex.

Wir haben ein verkrampftes Verhältnis zur Begeisterung. Lauter Jubel, gemeinsames Singen oder auch Skandieren kocht Emotionen hoch, und aus unserer Geschichte haben wir sehr gute Gründe, dem gegenüber skeptisch zu sein. Das - nun, sagen wir: schwierige Verhältnis zu laut geäußerter Begeisterung durchzieht die Gesellschaft genauso wie die Kirchen. Ein theatralisches Glaubensevent wie zum Beispiel die Unum-Konferenz in München lässt doch viele in beiden Konfessionen die Augenbrauen hochziehen. Auch das verstehe ich. Zumal auf der Rückseite des Glaubensjubels bei manchen der Anbetenden beinharte Ausgrenzungen stehen. Andererseits: das Ganze zu verurteilen, weil ich Teile unerträglich finde, kann doch in Zeiten, in denen sowieso schon alles auseinanderdriftet und man sich andauernd gegenseitig abgrenzt, keine Lösung sein. Gerade wir Katholikinnen können davon ein Liedchen singen, ob wir das nun laut tun oder leise.

Und wohin mit der Begeisterung? Ins stille Kämmerlein, in die eigene Innerlichkeit, in den engsten Freundeskreis? Nein! Die Freude des Glaubens muss nicht, aber darf ruhig laut sein. Wenn beim Event nur nicht vergessen wird, wie wertvoll die alltägliche Kärrnerarbeit im Alltag der Gemeinde ist. Der Jubel über die Tore, die "wir" geschossen haben - nichts dagegen! Aber so richtig begeistert von Deutschland bin ich angesichts all dessen, was wir in unserem Alltag haben und für selbstverständlich halten. Vom Rechtsstaat über die Versorgungssicherheit bis hin zum Deutschlandticket. Cool, was wir so alles auf die Reihe bringen. Bei aller Kritik, die wir haben mögen - und äußern können, ohne verhaftet zu werden. Finden Sie das selbstverständlich? Das ist es leider nicht überall. Ja, wir können stolz sein. Und den Stolz auf unsere Nation will ich nicht denjenigen überlassen, die Nation und Hautfarbe verknüpfen. Die Begeisterung des Glaubens nicht denen, die nur den rechten Glauben gelten lassen. Singen wir! Singen wir unsere Hymnen! Auch wenn, zum Beispiel, mir persönlich die europäische Hymne weit mehr bedeutet.


3