Zum Sonntag Warum es die Zivilgesellschaft braucht
Es war eine Zufallsbegegnung im Eisenbahnabteil. Die alte Dame hatte es sich auf ihrem Platz bequem gemacht und ich ließ mich auf ein bisschen Ratschen ein.
Es war eine Zufallsbegegnung im Eisenbahnabteil. Die alte Dame hatte es sich etwas umständlich auf ihrem reservierten Platz bequem gemacht und ich ließ mich auf ein bisschen Ratschen ein. Und das nahm eine überraschende Wendung.
Erst kam so das Übliche, die Bahn, die Pünktlichkeit, die Tochter, von deren Besuch sie nun zurückkehre, die Weiterfahrt vom Bahnhof, die sie noch vor sich habe, in eins von diesen Stadtvierteln, die von Hochhäusern geprägt sind und manchmal wenig rühmlich durch die Presse gehen.
Zur Autorin:
Nina Achminow ist freie Autorin. Hauptberuflich arbeitet sie am Renaissance- Theater Berlin.
Und dann, das klang wie so ein kleiner Versuchsballon, erwähnte sie ganz beiläufig ihre syrischen Freunde. Als ich mit Interesse nachfragte, erfuhr ich nach und nach die ganze Geschichte. Ja, die seien als Geflüchtete nach Deutschland gekommen, man habe sich an der Straßenbahn gesehen, da habe sie dann halt gegrüßt, und so seien sie ins Gespräch gekommen. Über die vielen Papiere, die Formulare, die man in Deutschland immer auszufüllen habe, über Sorgen und Umgangsformen, alles nicht so einfach, wenn man so fremd hier her kommt - aber inzwischen gehe es ihnen gut, beide arbeiten schon lange, sind mittlerweile eingebürgert und in eine größere Wohnung gezogen. Neulich war sie erst bei ihnen zu Gast, das war so ein schöner Abend!
Mir ist so eine Geschichte nicht fremd. Mich hat mal ein Geflüchteter aus der Nachbarschaft auf meinen Hund angesprochen, weil er Deutsch üben wollte. Das ist sieben Jahre her, und natürlich ging und geht es in der Familienfreundschaft, die sich daraus entwickelt hat, nicht nur darum, mal einen Behördenbrief zu verstehen. Es geht um Kontakt, um Austausch, um die Suche nach den richtigen Anlaufstellen, manchmal um Trost, oft um gemeinsames Lachen und um die viel beschriebene Integration. Die gelingt vielleicht mal besser, mal schlechter, aber ob und wie sie stattfindet, hängt von vielen einzelnen Menschen ab - eigentlich: von allen.
Dass ich als Tochter eines Immigranten mich ein bisschen engagiere, finde ich nur fair. Dass ich damit in meinem bunten Umfeld nicht ganz alleine bin, finde ich auch nicht wirklich ungewöhnlich. Aber das so von dieser alten Dame zu hören, die aus einem völlig anderen und zunächst wohl auch deutlich weniger weltläufigen sozialen Umfeld kommt als ich - das hat mir so richtig Mut gemacht. Es gibt sie, die aktive Warmherzigkeit innerhalb der deutschen Zivilgesellschaft. Ganz unspektakulär, weitab von der öffentlichen Wahrnehmung, aber diese integrative Kraft in unserer tendenziell doch ziemlich in Gruppen zerfallene Gesellschaft existiert, und wir sollten uns bewusst machen, wie wichtig sie ist, sie benennen und unterstützen, wo wir können. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen uns die täglichen Nachrichten auf allen Ebenen in Angst versetzen, scheint es mir notwendig, unsere Aufmerksamkeit auf das Gute, auf das Gelingende zu fokussieren. Und zu sehen, was unsere Gesellschaft zusammenhalten kann.
Mein Nachbar arbeitet seit etlichen Jahren als Altenpfleger. Meine Mutter lebt sehr hochbetagt im Pflegeheim. Ohne Menschen wie meinen Nachbarn wären nicht nur Menschen wie meine Mutter aufgeschmissen. Ohne die vielen Zugewanderten, die als Ärztinnen oder Programmierer, als Bäcker oder als Hilfskräfte oder im Hoch- und Tiefbau oder sonst wo arbeiten.
Oder sich darauf vorbereiten. Oder es könnten, wenn wir sie denn ließen, anstatt ihnen die Teilhabe durch Arbeit unnötig zu erschweren. Wenn wir ihnen Chancen gäben, ihren Beitrag zu leisten, anstatt - wie es tatsächlich auch bei uns passiert - Menschen vom Arbeitsplatz weg abzuschieben. Da helfen gute Nachbarn dann auch nichts mehr. Oh Gott! - Was für ein Thema.
Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen. Evangelium nach Matthäus. Sagt uns das etwas? Alle Menschen brauchen vernünftige Bedingungen - und: gute Nachbarn, um sich zu integrieren in eine gelingende Gesellschaft. Die brauchen wir alle.