Bayern 2 - Zum Sonntag


3

Zum Sonntag Haustierleben

Wie unter einem Brennglas, wie in Großaufnahme und im Zeitraffer zeigt uns das Leben mit einem Haustier, was wir im Alltag vielleicht zu sehr aus den Augen verlieren, meint Nina Achminow.

Von: Nina Achminow

Stand: 25.10.2024 14:57 Uhr

Zum Sonntag: Haustierleben

Die Diagnose kam wie ein Donnerschlag. Der Verfall war sichtbar gewesen in den letzten Monaten. Das Alter, die Hitze, eine Infektion, die aber doch gut zu kurieren war mit einem Antibiotikum. Aber jetzt? Das ist ein Tumor. Deutlich spürbar. Was ist da noch möglich an Therapie? Und was ist vernünftig? Ich spreche nicht von einem Menschen. Aber ich spreche von einem Familienmitglied. Tammi, unser schmuddeliger, schiefzahniger kleiner Pudelmischling kam aus dem Tierschutz in unsere Familie. Spielgefährtin für unsere Tochter, Wandergenossin für meinen Mann, dem das Gassi - Gehen fühlbar guttat, Spaßmacherin für mich, die ich mich von ihr vom Schreibtisch und aus jedem finsteren Gedanken losreißen ließ.

So ein Haustier ist ein Funktionsträger. Nicht wirklich anders als ein Nutztier eigentlich. Und jedes Schwein, dessen Fleisch ich meinem Tammilein vorgesetzt habe, war doch ein ebenso hoch entwickeltes Säugetier wie unser Hund. Aber anders ist es doch. Weil wir es anders sehen. Das Leben, das Siechtum, das Sterben eines Haustieres trifft uns ins Herz.

Als wir Tammis Vorgänger, Tommi, den Pudelmischling meiner Mutter hochbetagt einschläfern lassen mussten, wusste unsere Tochter, damals acht, den Hund ganz sicher im Hundehimmel. Als wir dann einen ganz ähnlichen Pudelmischling fanden und Tammi nannten, tanzte sie mit dem Welpen durch den Garten: endlich hab' ich meinen Hund! Der Hund begleitete uns durch ihre Jugend. Jetzt ist sie erwachsen und studiert im Ausland.

Was ist uns das gemeinsame Leben wert? Was sind wir bereit, füreinander zu geben? Was bemerken wir überhaupt voneinander? Wie unter einem Brennglas, wie in Großaufnahme und im Zeitraffer zeigt uns das Leben mit einem Haustier, was wir im Alltag vielleicht zu sehr aus den Augen verlieren. "Nehmen Sie jeden Tag als ein Geschenk", riet uns der Tierarzt, als wir ihn fragten, ob der Hund noch durchhalten würde bis zu den Semesterferien. Wie kostbar wird auf einmal jeder Spaziergang. Jeder angenommene Happen. Wie beglückend, dass der Hund die große, nicht die kleine Runde ansteuert. Wie beschämend der Gedanke, dass wir die Zeichen hatten früher erkennen, vielleicht doch hätten therapieren können. Wie entlastend der Rat, das dem Tier und uns selbst zu ersparen und die Dinge zu nehmen, wie sie sind.

Der Arzt half uns mit einem Schmerzmittel, unsere Tochter buchte kurz entschlossen einen Nachtbus und ist quer durch Europa gefahren, um sich von Tammi zu verabschieden. Die beiden verbrachten einen langen Tag im Garten. War der Hund erschöpft, weil er sich für sie noch einmal so richtig in Zeug gelegt hatte? Oder hat er gespürt, dass dieser Abschied endgültig war? In der nächsten Nacht nahm unsere Tochter den Bus zurück. Tammi zeigte danach keinerlei Interesse mehr, auch nicht am Tierarzt, der ihr Leben am Tag darauf beendete. Eine Freundin wünscht mir viel Kraft, sie schickt mir das Bild eines Regenbogens und schreibt dazu, sie glaube, dass man die kleinen Gefährten auch wiedersehe, irgendwann. Ist mir das ein Trost?

Seltsam, die Frage nach dem Jenseits berührt mich nicht mehr. Ob es Gott gibt, und den Himmel? Und den Hundehimmel auch? Oder nicht? Sind wir Menschen Gottes Kinder, sind wir die Krone der Schöpfung - oder einfach hoch entwickelte Säugetiere? Und was sind unsere Mitgeschöpfe, aus Gottes Sicht? Was weiß ich schon. Wir dürfen glauben! Wenn Gott die Liebe ist, dann ist die Liebe, die wir hier erleben, Gottes Widerschein. Auch die Liebe zu Gottes Schöpfung. Auch die Liebe, die uns so ein Geschöpf entgegenbringt. Und wir ihm. Und jeder Tag ist ein Geschenk. Vielleicht lehrt uns das so ein Haustier deutlicher als jeder Mensch. Und für das, was es uns da lehrt, ist der Himmel ganz gewiss der richtige Begriff.


3