Zum Sonntag Ostern: Der Mensch zwischen Baum und Borke
Wir Menschen sind merkwürdige Zeitgenossen. Einerseits können wir Berge versetzen, andererseits bleiben wir oft genug in kleinem Karo hängen. Gott macht das besser, findet "Zum Sonntag"-Autor Norbert Roth.
Heute fühlt es sich an wie zwischen Baum und Borke – der Karsamstag. Viel eindeutiger das Gestern. Karfreitag. Und die damit verbundenen, großen Wehklagen darüber, dass diese Welt möglicherweise doch nicht die beste aller Welten sei – denn Menschen töten Menschen. Einfach so. Weil sie es können. Mit fadenscheinigen Begründungen und giftgrünen Halb- und Unwahrheiten. Heute wie damals. Einst war es Jesus von Nazareth – ein argloser und wehrloser Niemand – eigentlich, der die Mächtigen in Politik und Religion dazu bringt, ihn umzubringen. Einfach so. Weils wurscht ist. Sein Leben. Was ist das schon gegen die Bedeutung ihres Einflusses? Einer der Störenfriede, die zu beseitigen sind. Das ist der beklagenswerte Dauerzustand der Welt. Karfreitag.
Gott nimmt dem Tod seine Endgültigkeit
Und dann Morgen – der Ostersonntag. Der trotzige Christenjubel darüber, dass Gott diejenigen infrage stellt, die vermeintlich über jeden Zweifel erhaben sind. Weil er ihr Machtinstrument – den Tod – aushebelt. Einfach so. Weil er es kann. Freilich, die Mächtigen haben die Macht, Urteile zu fällen – und wer sollte es da wagen, sich gegen sie in Position zu bringen? Aber Gott – so erzählen die Christen seit ihren Anfängen – nimmt dem Tod seine Endgültigkeit und damit seine Macht. Und bringt das auf erstaunliche Art und Weise zustande. Gott zahlt nicht mit gleicher Münze zurück, indem er die Bösen mit dem Blitz erschlägt. Sondern dadurch, er dass er den Tod – also ihr Machtinstrument – tötet und das Grab Jesu am Ostersonntagmorgen einfach leer ist. Christus ist auferstanden. Seit diese Botschaft in der Welt ist, hat sie das letzte Wort.
"Seht – das ist der Mensch"
Diese göttliche Machtdemonstration hat aber etwas Verwirrendes. Während wir Menschen versuchen, den Gewaltigen mit Gewalt Einhalt zu gebieten, geht Gott auf die Gewalt selbst los. Egal von wem sie ausgeht, denn er weiß, dass wir alle zum Schlimmsten fähig sind. Er selbst aber wird nicht gewalttätig, weil er auch weiß, wie verwundbar wir sind. Seht – das ist der Mensch, sagt Pilatus am Karfreitag und zeigt der johlenden Menge den geschundenen Jesus. An ihm wird sichtbar, wozu Menschen fähig sind – an ihm wird sichtbar, wie verletzlich der Mensch ist. Beides. Und das ist für uns Menschen nur schwer erträglich. Wir alle hätten es gern eindeutig. Hätten es gern, dass Gott auf jeden Fall auf meiner Seite steht. Und jene beiseitigt, die mir Ärger machen.
Wir Menschen – zwischen Baum und Borke. Wir vermögen Großartiges und Edles. Haben hehre Ziele, wollen die Welt verbessern. Und gleichzeitig verheddern wir uns in kleinliche Machtspielchen, die unsere Mitmenschen zu Feinden machen. Ja, wir Menschen versuchen uns immer sorgsam einzuordnen, in Gute und Böse. Was uns im Großen leichter gelingt als im Kleinen, denn wenn uns die Frage nahe kommt, und persönlich wird, beginnt das Eindeutige zu verschwimmen.
Das Dilemma des Judas – Dilemma des Menschen
Das ist das Dilemma des Judas. Der sich karsamstags an Baum und Borke erhängt. Er meinte genau zu wissen, wer gut und wer böse ist. Und wollte durch den Verrat an Jesus die Konfrontation zwischen dem Messias und den verhassten Römern erzwingen. Jesus würde dann schon dreinschlagen, berechnete er. Wollte für sich und sein Land das Beste und dass Gott seine Macht demonstriert, weil er – natürlich – mit Judas übereinstimmt, dass die Anderen die Bösen und somit zu beseitigen sind.
Natürlich stehen auch wir selbst – so unzweifelhaft wie Judas anfangs – immer auf der Seite der Guten. Doch ich werde zunehmend unsicher. So eindeutig bekommt man es nicht nicht. Denn ganz gleich, wen man fragt, fallen die Antworten immer so aus, dass jeder nur das Beste will. Ich wette, dass selbst befragte Machthaber in Moskau, im Gazastreifen oder in manchen Chefzimmern aus ihrer Sicht nur Gutes, ach was – nur das Beste im Sinn haben.
Der Platz zwischen Baum und Borke ist kein angenehmer Platz. Viel leichter ist es, sich auf die eine oder auf die andere Seite zu schlagen. Doch das wäre zu einfach. Daher stellt Gott die gewohnten Abläufe auf den Kopf. Er tritt den Mächtigen nicht mit Gewalt entgegen. Sondern er lässt sich selbst verwunden. Er zeigt: Unverwundbare Götter, unanfechtbare Menschen, die nicht bluten können, sind nicht zu bewundern. Die Starken, die auf ihrer Stärke bestehen, sind gewöhnlich, wie alle Kraftprotze. Wer die fremden Schmerzen nicht zu seinen eigenen machen kann, ist wie alle andern – sucht das Beste - nur für sich. Gott geht an Ostern einen anderen Weg – zwischen Baum und Borke. Weil er alle! Alle Menschen für das Beste, für seinen Frieden, gewinnen will.