Wie der Strom aufs Land kam Strom für alle
Elektrische Beleuchtung in den Straßen und zuhause gehörte um das Jahr 1900 zum guten Ton - zumindest in den Haupt- und Residenzstätten. Eine Herausforderung war das auf dem Land, wo die Dörfer und Einzelhöfe verstreut liegen.
Die um 1800 erbauten Getreidemühle aus Fischbach (Gemeinde Wackersberg/Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) steht heute im oberbayerischen Freilichtmuseum an der Glentleiten bei Kochel. Was dieses Haus museumswürdig macht, ist die frühe Stromerzeugungsanlage mit der man ab 1916 Elektrizität für den Eigenbedarf produziert hat. Es gab sogar frühe Speicherakkus, die man nachts, wenn der Mühlenbetrieb stand, aufladen konnte. So, wie hier war es überall: Wer in abgelegenen Orten Strom haben wollte, musste ihn selber machen.
"Es wurde sehr stark geworben dafür. Es wurde auch gesagt, diejenigen die keinen Stromanschluss haben, das ist ja altväterlich, die sind wirklich hinterm Berg. Das war natürlich die Stromindustrie, die das verkaufen wollte. Aber man konnte relativ schnell die Leute überzeugen, dass es doch sehr praktisch ist, auch was Brandgefahr anbelangt. Wenn man die Lichterzeugung zumindestens im Stall oder an den Arbeitsstätten auf elektrischen Strom umstellen konnte. Natürlich - es war eine neue Technik, man war skeptisch ob das nicht doch gefährlich ist, auf den Schlaf sich auswirkt usw. Aber grundsätzlich hat sich die Elektrifizierung auf dem Land zügig entwickelt, und vor allem dann in den 20er Jahren richtig Schwung aufgenommen."
Jan Borgmann, Leiter der volkskundlichen Sammlung im oberbayerischen Freilichtmuseum Glentleiten
Wenn man sich keine der extrem teuren Dampfmaschinen anschaffen konnte, dann gab es bis weit ins 20. Jahrhundert auf dem Land lediglich tierische oder menschliche Kraft, wenn man keine Wind- oder Wasserkraft nutzen konnte. Im relativ wasserreichen Bayern war letztere häufig. So kam es, dass überall, wo ein Bächlein rauschte und eine Mühle klapperte, es auch bald aus einem kleinen Generatorenhäuschen daneben summte.
Die Fischbach-Mühle etwa wurde erst 1960 ans öffentliche Stromnetz angeschlossen. Ganz anders nördlich von München, in Bruck (heute Stadt Fürstenfeldbruck). Die damals kleine Marktgemeinde bekam schon 1892 als eine der ersten Ortschaften in Deutschland eine zentrale Stromversorgung. Der Grund ist simpel: Die Familie des Elektropioniers Oskar von Miller stammte von dort:
"Sein Onkel Johann Baptist von Miller war hier Bürgermeister, man war hier auch öfter auf Besuch bei der Familie, hat Kaffee getrunken. Oskar von Miller macht sich 1890 selbständig und will hier in Bruck zeigen was man mit Strom machen kann. Er wollte Strom für alle, Licht für alle, und zwar erschwinglichen Strom für alle. In Fürstenfeldbruck waren gut 3000 Menschen und es waren über 200 Handwerksbetriebe, die Alleinmeister, die Weber, die Schuster, denen wollte er wirklich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, durch billigen elektrischen Strom."
Dr. Barbara Kink Leiterin des Museums Fürstenfeldbruck
Das Handwerk in Fürstenfeldbruck nahm nach 1892 einen großen Aufschwung. Ein riesiger Wettbewerbsvorteil, denn noch bis in die 1920er Jahre hinein hatten nur die Hälfte der bayerischen Gemeinden Stromanschluss!
Oskar von Miller stellte diese komplexe Art der Elektrizitätsversorgung 1893 bei der Weltausstellung in Chicago vor. Bruck wurde zum Mekka. Städtische Magistrate und Bürgermeister aus der ganzen Welt wollten das Elektrizitätswunder auf dem Land sehen.
Doch Miller war nicht der einzige bayerische Elektropionier. Der Unternehmer Otto von Steinbeiß etwa baute 1912 auf den Wendelsteingipfel bei Brannenburg eine Zahnradbahn - rein elektrisch. Der Strom dafür kam zunächst aus einem später aus drei Wasser-Kraftwerken. Denn schnell interessierten sich auch andere für Steinbeiß' Strom. Und so bot er Strom aus seinen Kraftwerken an. 1912 genügte für den Anschluss noch ein formloses Schreiben: Kosten 120 Reichsmark, umgerechnet etwa 600 Euro. Das klingt zwar teuer, aber es mussten schließlich erst Lichtmasten aufgestellt, Freileitungen gezogen, und Grundstückseigentümer entschädigt werden. Und der Strom selbst war noch kostspieliger. Aber die Landwirte und Handwerker erkannten damals das unglaubliche Potential.
Kleinere Unternehmer wie Steinbeiß gab es mehrere. Aber wenn es um die Stromversorgung für ganz Bayern geht, ging an dem genialen Vordenker, Ingenieur und Konstrukteur Oscar von Miller nichts vorbei. Sein Walchenseekraftwerk, das 1924 in Betrieb ging, ist bis heute das größte Hochdruckspeicherkraftwerk in Deutschland. Damals galt es dafür, ähnlich wie heute, große Widerstände zu überwinden. Auch damals schon sorgten sich viele um die Zerstörung der Natur. Es wurden sogar Katastrophenszenarien an die Wand gemalt, jahrhundertealte Befürchtungen, wie in der alten Sage von dem mächtigen Waller, der im Walchensee zusammengerollt schlafen soll. Würde er geweckt, schlüge er die Felswand entzwei und Kochel und das ganze Land würden überschwemmt von den Wassermassen. Es war tatsächlich eine höchstdiffizile technische Herausforderung.
Doch Miller meisterte die Probleme. Das Walchenseekraftwerk produziert immer noch mehr Strom als alle anderen deutschen Pumpspeicherkraftwerke zusammen. Damit liefert es einen großen Beitrag für Bayerns Dekarbonisierung und könnte Vorbild für neue ähnliche Projekte sein. Doch es ist fraglich, ob sich solche Anlagen heute noch in Bayern durchsetzen lassen. Das Walchenseekraftwerk aber steht und liefert wie viele andere frühe Wasserkraftanlagen in Bayern weiterhin grünen Strom: dezentral, langlebig, nachhaltig, weitgehend ökologisch und effizient.