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Überraschungsgäste Wie gefürchtet sind Restaurantkritiker?

In Filmen sind Restaurantkritiker oft gefürchtete Überraschungsgäste. Und in der Realität? Schleicht dann der Kellner auf leisen Sohlen um den besonderen Gast? Gibt es extra Grüße aus der Küche? Mitnichten.

Von: Tanja Gronde

Stand: 06.01.2021 | Archiv

Überraschungsgäste: Wie gefürchtet sind Restaurantkritiker?

Im Restaurant "Weisses Rössl", idyllisch in der historischen Altstadt von Wasserburg am Inn gelegen, war letztes Jahr ein Kritiker da. Anschließend gab es eine Erwähnung im Michelin-Führer. Eine Auszeichnung für die Küche von Marcus Werner. Vor dem Lockdown waren auf seiner Speisekarte beispielsweise Spinatsuppe mit Kabeljau oder Kalbsrücken mit Schwammerlpfannkuchen zu finden. Der Tester entschied sich vor rund einem Jahr für etwas Anderes.

"Für einen gebeizten Lachs. Dann gab es ein Rehschäuferl. Und hinterher hat er die Apfelkücherl gegessen. Es ging ihm nicht um den Preis, sondern darum, wie das Essen handwerklich hergestellt wurde. Es ist nicht mein größter Antrieb, einen Stern zu bekommen. Wenn er da ist, dann freue ich mich natürlich. Aber ich werde jetzt nicht meine Kocherei umstellen, nur um einen Stern zu bekommen."

Marcus Werner, Weisses Rössl

Kritiker bringen Zeit mit – und stellen viele Fragen

Der Koch Marcus Werner betreibt sein Weisses Rössl zusammen mit Ehefrau Magdalena Huber. Ihre Arbeitsteilung: Er ist in der Küche, sie im Service. Deshalb erblickt sie vielleicht zuerst den besonderen Gast.

"In der Regel essen Kritiker drei oder vier Gänge. Das ist mittags dann eher ungewöhnlich. Da muss es bei den meisten schnell gehen. Ein Kritiker nimmt sich dann doch Zeit, alle Gerichte zu probieren. Allerdings werden dann oft Hintergrundfragen zum Restaurant, zur Küche, zu den Produkten gestellt. In einem größeren Umfang, als es ein normaler Gast machen würde."

Magdalena Huber, Weisses Rössl

Jeder Gast ist gleich

Und wenn er dann da ist und man ahnt, er könnte es sein, der Kritiker? Steigt dann die Spannung im Gastraum? Schleicht dann der Kellner auf leisen Sohlen um den besonderen Gast, gibt es Extra-Grüße aus der Küche? Mitnichten, sagt Magdalena Huber. Jeder Gast ist gleich, und Nervosität hat dann auch keinen Sinn mehr.

"Man macht es, so gut man kann. Und man kann es dann sowieso nicht mehr ändern. Die Soße ist gekocht, die Suppe ist gekocht. Maximal kann man beim Anrichten noch etwas optimieren. Wenn er aufgegessen hat, ist es immer ein gutes Zeichen. Die essen ja den ganzen Tag, besuchen oftmals mehrere Lokale. Wenn der Teller dann leer ist, ist das immer ein gutes Zeichen."

Magdalena Huber, Weisses Rössl

Restaurantkritiker: Ein Traumberuf, wenn auch ein zeitaufwändiger

Wolfgang Fassbender ist ehemaliger Bibliothekar. Er geht seit drei Jahrzehnten als Gourmet auf Reisen und testet: vom Zwei Sterne-Burger bis hin zu Tapas, vom Fünf-Gänge-Menü bis zur Drei Sterne-Küche. Bezahlt werden fürs Essen gehen: ein Traumberuf, wenn auch ein zeitaufwändiger. Er bloggt über seine Erlebnisse und schreibt für verschiedene Magazine und die Neue Zürcher Zeitung seine Kritiken. Seine Qualifikation: Er hat Erfahrungen als Koch gesammelt und ist Journalist.

"Es ist so ein Mix aus Erfahrungen. Vor den Kulissen, hinter den Kulissen. Man muss sich fortbilden und viel essen. Man sollte auch selbst kochen. Wenn man dann guten Willens ist, kann man schon eine ganze Menge erfahren und lernen."

Wolfgang Fassbender, Restaurantkritiker

Als Gourmetkritiker muss man vor allem eins: anonym bleiben.

"Es ist nicht der Fall, dass es so weit geht wie bei Luis de Funes in dem berühmten Restaurantkritiker-Film, dass wir uns verkleiden oder falsche Bärte ankleben. Die absolute Anonymität gibt es fast nicht. Denn wenn man das eine Weile macht, egal ob man Journalist ist oder ob man es nebenberuflich macht, kommt irgendwann der ein oder andere Gastronom auf die Idee: Ah, das Gesicht habe ich schon mal gesehen."

Wolfgang Fassbender, Restaurantkritiker.

Natürlich macht sich auch Wolfgang Fassbender Notizen, aber so wie jeder Tourist auf dem Handy, auch das Essen kann man damit fotografieren. Also ein Schreibblock deutet nicht wirklich auf einen Kritiker hin. Und was bestellt man dann? Fassbender betont, er esse eigentlich alles.

"Am liebsten sage ich dem Koch oder dem Kellner, er soll mir irgendetwas machen. Oder es gibt nur ein Menü, dann muss ich nicht lange diskutieren. Wenn es ein großes Angebot a la carte gibt, dann versuche ich natürlich, Speisen zu nehmen, bei denen ich ein gewisses Können herausschmecken kann. Fischgerichte zum Beispiel. Bei Geflügel ist es nicht ganz einfach, das auf einen guten Garpunkt hinzubekommen. Das ergibt natürlich viel mehr Sinn, als die einfachsten Standards zu nehmen."

Wolfgang Fassbender, Restaurantkritiker

Die Zeit des gefürchteten Inquisitors ist vorbei

Wobei Fassbender sich nicht als Kritiker sieht, sondern als Mittler zwischen Koch und Gast. Die Zeit des gefürchteten Inquisitors sei vorbei, hat er jüngst geschrieben. Essen ist mehr als Genuss, Essen ist Gesamtkunstwerk. Das sagt auch Marcus Werner. Man nenne eine Kartoffel nie Beilage.

"Das Wort Beilage finde ich ganz schlimm. Weil es ja ein Essen ist. Und da ist nichts dabei. Das ist einfach ein Gericht, das in sich stimmig ist."

Marcus Werner, Weisses Rössl

"Mein Lieblingsgericht ist ein bisschen aus der Kindheit geprägt, das ist rheinischer Sauerbraten. Ich bin in der Gegend von Köln aufgewachsen. Das hat meine Mutter gemacht. Und meine Mutter konnte nicht gut kochen, meine Großmutter auch nicht. Aber das hat sie sehr gut hinbekommen."

Wolfgang Fassbender, Restaurantkritiker

Wahre Kochkunst berührt Gaumen – und Herz

Das Lieblingsgericht des Kritikers erinnert also an die Kindheit. Wahre Kochkunst berührt eben das Herz genauso wie den Gaumen.


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