Der laufende Sonntagsbraten Unterwegs auf dem "Altbaierischen Oxenweg"
Viele tausend Ochsen wurden jährlich donauaufwärts getrieben, um den bayerischen Fleischhunger zu stillen. Die Ochsenau bei Landshut oder die Augsburger Stadtmetzg erinnern an die bayerisch-ungarischen Cowboys und ihre Herden.
Schön sind sie, die vier ungarischen Graurinder, die in der Ochsenau bei Landshut grasen – und respekteinflößend mit ihren bis zu 80 cm langen geschwungenen Hörnern. Dazu ein hellgraues Fell, große dunkle Augen und eine dunkle Schwanzquaste. Als es darum ging, die Flächen der Ochsenau zu beweiden, war klar: Hier sollen ungarische Ochsen grasen, so wie früher. Denn auf Wiesen wie der Ochsenau, auf großen Weideflächen vor den Toren der großen bayerischen Städte, wurden die Ochsen nach rund 1.000 Kilometern donauaufwärts auf Schlachtgewicht gebracht – etwa damals, als bei der Landshuter Fürstenhochzeit 323 ungarische Ochsen auf den Tellern der Feiernden landeten.
"Man muss davon ausgehen, dass auf diesen Flächen immer wieder große Herden von Graurindern gestanden sind. Das wollten wir haben: Hier müssen Graurinder in der Ochsenau herumstehen, damit das Landschaftsbild wieder stimmig ist."
Tobias Lermer, Landschaftspflegeverband Landshut
Pro Jahr sollen bis zu 200.000 Tiere aus der Puszta in Bayern angekommen sein – und das pro Jahr! In Herden zu 100 bis 150 Stück wurden sie durch Ungarn und Österreich getrieben, stillten den enormen Fleischhunger in den politischen und wirtschaftlichen Zentren des Reiches, in Städten wie Nürnberg oder Augsburg.
"Wenn man sich die Dimensionen anschaut, die das damals gehabt hat, würde man Begriffe wie Globalisierung oder Global Player dafür verwenden. Man brauchte Dolmetscher, Treiber, Bewachungspersonal. Das war ein unglaublicher Aufwand über so viele Sprach- und Kulturgrenzen hinweg, das ist heute vergleichbar mit Globalisierung."
Markus Hilpert, Dozent am Lehrstuhl für Humangeographie und Transformationsforschung der Universität Augsburg.
Begleitet wurden die Herden auf ihrem Weg von den sogenannten Hajduken, ungarischen Hirten, die sich auf den Transport der Ochsen spezialisiert hatten. Vor dem inneren Auge entstehen da Bilder, die weniger an Ungarn, Österreich oder Bayern erinnern als vielmehr an Amerika: Cowboys des Mittelalters.
"Der Wilde Westen, der war bei uns schon sehr viel früher da: gewaltig große Rinderherden, die über relativ lange Zeit getrieben wurden und immer wieder neue Strecken gesucht werden müssen, das war so ähnlich. Wilder Westen!"
Markus Hilpert
Warum aber wurde dieser enorme Aufwand betrieben? Wer heute durch die Region fährt, der sieht überall Fleckvieh auf der Weide. Doch das war nicht immer so. Im Mittelalter stieg mit dem Wohlstand auch die Einwohnerzahl der Städte und damit der Fleischhunger. Gleichzeitig war es schwierig, die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Die Flächen wurden dazu benutzt, Ackerbau zu treiben, das wenige Vieh, das man hatte, wurde bei der Feldarbeit eingesetzt. Auch für den Anbau von Rostoffen für die Textilindustrie wurde ein Teil des Landes benötigt, und Kälteperioden machten es während der sogenannten kleinen Eiszeit im 16. und 17. Jahrhundert schwieriger, das Vieh auf bayerischen Weiden ausreichend mit Futter zu versorgen. Da kamen die robusten, fleischigen und fetten ungarischen Ochsen gerade recht.
Es entstand ein Wirtschaftsnetz, das seinesgleichen sucht. Der Handel mit den Tieren war über Jahrhunderte ein großer Wirtschaftsfaktor für alle beteiligten Länder und Städte. Viele Parteien konnten an diesem sogenannten Ungarnhandel gut verdienen, das zeigen etwa die Ochsenskulpturen an der Fleischbrücke in Nürnberg von 1598 oder Elias Holls großartige Stadtmetzg in Augsburg von 1609.
"Elias Holl hat einen der vielen Lechkanäle umgeleitet, und hat ihn offen unter der Stadtmetzg durchgeführt, im Kellergewölbe. Der Lech ist immer kalt. Damit war es im Keller immer kalt und der Boden in dem Stockwerk oberhalb war auch immer kalt. Das war vor über 400 Jahren eine ganz clevere Art, Wasser zur Kühlung des Fleisches zu nutzen."
Elisabeth Retsch, Stadtführerin in Augsburg
Im östlichen Ungarn, im Schwemmland der Theis bei Debrecen, hatten im Bereich des Nationalparks Hortobágy einige wenige Rinder die landwirtschaftlichen Reformen und politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts überlebt – immerhin genug, um die Rasse vor dem Aussterben zu bewahren. Ganz ähnliche Bedingungen gibt es in Österreich rund um den Neusiedler See. Vor wenigen Jahrzehnten hat man sich dort auf die alten Traditionen besonnen, auf den Ochsentrieb und die fast vergessene Nutztierrasse. Es gelang, wieder eine ansehnliche Herde zu etablieren – die einzige in ganz Österreich.
"Unser erster Stier war ein Relikt, der noch aus dem Tiergarten Schönbrunn stammte. Das war der legendäre Stier Peter. Und wir haben jetzt selber wieder eine Herde von in etwa 250 Stück Graurindern, die sich in den letzten 30 Jahren entwickelt hat."
Johannes Ehrenfeldner, Direktor des Nationalparks Neusiedler See-Seewinkel
Die Rinder sorgen heute dafür, dass die alte Kulturlandschaft des Nationalparks mit seiner enormen Artenvielfalt erhalten bleibt. Die ungarischen Rinderherden geben ein ganz besonderes Bild in der Landschaft ab, ganz ähnlich, wie es rund 400 Jahre zum bayerischen Landschaftsbild dazugehörte, als die großen Herden zwischen Inn, Donau, Isar und Lech unterwegs waren. Und von hier stammen die vier Ochsen, die in der Ochsenau bei Landshut grasen und die man dank eines gut beschilderten Radwegs in der Landschaft bewundern kann – derzeit die einzige Möglichkeit in Bayern! Wer mit offenen Augen durch Bayern fährt, der entdeckt immer wieder kleine Hinweise auf die ungarischen Ochsen, die Global Player der Renaissance- und Barockzeit.