Bayern 2

     

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Zwischen zwei Tönen Die Kunst des Obertonsingens

Obertöne muss man hören lernen. Mit dieser Sendung gelingt das. Wer es lernt, der wird seine Hörgewohnheiten verändern. Denn es eröffnen sich ganz neue Einsichten in das Wesen von Klängen und Wirklichkeiten.

Von: Tanja Gronde

Stand: 23.08.2022 | Archiv

Zwischen zwei Tönen: Die Kunst des Obertonsingens

Ein Seminarraum in Grafing bei München: Ein Workshop für Oberton-Meisterschülerinnen und -schüler von einem der deutschen Pionieren des Obertongesangs Wolfgang Saus.

"Ich kann ja mal ein Beispiel bringen. Ich singe Freude schöner Götterfunken (pfeifen) ... Jetzt werden 5% das gehört haben, (singt) jetzt 30%, (singt) jetzt 60% (singt) und jetzt fälsche ich die Vokale so ab, dass das Gehirn sagt: Das hat mit Sprache nichts mehr zu tun und kann deuten was es möchte. Und was das Gehirn dann tut: Es vergleicht es mit dem Bekanntestem einem Pfeifton. Und dann macht es die Erfahrung, dass es zwei getrennte Töne sind. (singt)"

Wolfgang Saus, Obertonpionier

Schon die alten Römer wussten um den Zusammenhang von Klang und Gesundheit. Pythagoras erfand das Monochord auf dem alle Obertöne hörbar sind. Geschichtsträchtige Klänge.

Hörübung mit Wolfgang Saus | Bild: BR / Beate Eckert

Jeder Ton besteht aus vielen Tönen, eben auf den Tönen der Obertonreihe, in der wiederum alle Intervalle liegen und damit die Harmonik der Musik bestimmen. Ein Obertonsänger filtert aus allen Tönen einen bestimmten heraus. Doch die anderen sind immer noch da, auch Obertonhören passiert im Kopf.

"Das ist ein totaler Denksprung, das ist wie im Physikunterricht der Formelkram; irgendwann hat man verstanden um was es geht und dann hat es auch Spaß gemacht. Es fühlt sich anders an, es liegt daran dass man mit beiden Gehirnhälften denken muss weil man das seltsam koordinieren muss. Es fühlt sich anders an als das normale Singen man braucht Zeit zum Üben."

Natalie, Workshopteilnehmerin

"Das Spannende daran ist, dass man erkennt, dass die Wirklichkeit nicht wirklich existiert, sondern dass das Gehirn bastelt es sich aus den Informationen wie es gerade passt: die Wirklichkeit."

Wolfgang, Workshopteilnehmer

Akustische Täuschung nennt Wolfgang Saus das Phänomen. Das Gehirn hört den herausgefilterten Ton, weil es an einen bekannten Klang erinnert, den einer Flöte oder Glasharfe. Töne überhaupt sind ein Konstrukt unseres Gehirns. Draußen in der Natur gibt es nur Druckschwankungen in der Luft. Der Ton passiert in uns. Lassen wir uns darauf ein - weiter, tiefer - machen wir Obertöne! Jeder der sprechen kann, kann Obertöne singen.

"Wenn man Oberton hören trainiert, dann wird dabei auch das Gefühl anders angesprochen, das geht bei Ihnen in den Bauch, das gibt eine physische Reaktion. Und wenn man das eine Weile übt, dann wird das zu einem Bestandteil der Wahrnehmung. Und ich mache die Erfahrung dass Tiere darauf reagiern oder auch Menschen, die auf normale Sprache aufgehört haben zu reagieren. Wie Alzheimerpatienten in fortgeschrittenen Stadien oder auch mit autistischen Kindern habe ich gute Erfahrung. Sobald ich Obertöne singe, kommen sie auf mich zu: Muss schon was Besonderes sein, das Teile der Kommunikation anspricht, die bislang unerforscht sind."

Wolfgang Saus, Obertonpionier

Auch wenn der Oberton ein Sinuston ist, in dem nichts mehr mitklingt, schwingt soviel mehr mit. Einmal auf dieses noch unerforschtes Gebiet eingelassen, lässt es einen schwer wieder los: In der Abfolge der Obertöne mit ihren Abständen und Abfolgen liegt das Konzept unserer Musik, aber auch Architektur und Kunst zu Grunde. Vielleicht eine Erklärung für die Harmonie, die viele empfinden, sobald sie sie hören. Obertöne - wahrscheinlich eine wahrhaftige Erfahrung.


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