Hörbuch der Woche "Wenn ich wiederkomme" von Marco Balzano
Marco Balzanos Roman "Das Leben wartet nicht" gewann etwa den Premio Campiello. Neben dem Schreiben arbeitet Balzano auch als Lehrer für Literatur an einem Mailänder Gymnasium. Der Spezialist für komplexe Familiengeschichten widmet sich in seinem neuen Roman "Wenn ich wiederkomme" dem Schicksal der 24-Stunden-Pflegekräfte aus Rumänien, die Heimat und Familie eintauschen gegen die Pflege alter, kranker Menschen in Italien. Nun ist im Diogenes-Verlag der Roman -und parallel das Hörbuch - als ungekürzte Lesung mit der Schauspielerin Anna Schudt erschienen.
Es ist kein alltäglicher Morgen, den eine vierköpfige Familie in Rumänien erlebt, auch wenn es zunächst so scheint. Schlagartig bricht die Welt zusammen für den 12-jährigen Manuel und seine deutlich ältere Schwester Angelica, als sie auf dem Weg zur Schule den Brief ihrer Mutter Daniela lesen:
"Meine Kinder, ich habe in Mailand Arbeit gefunden. Ich muss fort, damit ihr studieren könnt und anständig zu essen bekommt, denn ich möchte, dass ihr die gleichen Chancen habt wie die Anderen. Mit Papa darüber zu reden ist sinnlos, deshalb bin ich heimlich gegangen.(…)Papa und Oma Rosa werde ich jeweils Geld schicken, sie geben euch, was ihr braucht(….) Ich habe euch unendlich lieb, bis bald, Mama"
Zitat aus Hörbuch
Aus dem "bis bald" werden zunächst sechs Monate und schließlich vier Jahre. Marco Balzano widmet sich in seiner berührenden Familien- Geschichte über Abschied, Vereinsamung und Entfremdung den Pflegekräften aus Rumänien und dem Schicksal ihrer Kinder. Dabei wirft er einen entlarvenden Blick auf dieses problematische Thema in einer immer älter werdenden Gesellschaft. Wie im informativen Booklet erklärt, hat Balzano dafür sorgfältig recherchiert, sowohl in Rumänien als auch Italien. In seinem dreistimmigen Familienroman lässt er zunächst den Jungen Manuel aus der Ich-Perspektive "sprechen". Die Schauspielerin Anna Schudt trifft dabei den passenden Teenager-Ton zwischen Traurigkeit, Aufmüpfigkeit und jugendlicher Naivität. Anhand des heranwachsenden Jungen zeigt der Schriftsteller, wie die räumliche Trennung zwischen Mutter und Sohn allmählich zu einer inneren Trennung wird. Allein der Großvater und sein Garten schenken Manuel Halt:
"Und deshalb war mir, als ich ihn am Nachmittag des 10. September vor der Tür zum Waggon auf dem Boden liegen sah, als würde ich ertrinken. Da reichte es nicht mehr zu sagen, 'minus 4' und mir eine Zigarette anzuzünden: Absolut nicht.
Opa Mihai war der letzte, der mir geblieben war.
Ohne Opa war das alles wirklich nicht zu ertragen."
Zitat aus Hörbuch
Manuel stürzt ab, in der Schule und auch im sozialen Leben. Nachdem auch noch sein Vater wegen eines LKW-Jobs ins Ausland abhaut, wird er zum "Eurowaisen", wie die verlassenen Kinder der Migrantinnen genannt werden. Nach einem schweren Mofa-Unfall fällt Manuel ins Koma. Damit beginnt der zweite Teil des Hörbuchs, in dem die Mutter Daniela als Ich-Figur das Wort ergreift. Sie vertraut ihrem schlafenden Sohn am Krankenhausbett in Rückblicken ihre Version der Geschichte an. Daniela beschreibt dabei die Last der Gefühle bei der Rückkehr nach Rumänien:
"Die Spinnenweben an den Decken, die heruntergekommene Pergola, die unfertige Mansarde, die Schuld, mit der ich mich jedes Mal wenn ich heimkomme, wieder erkennen muss. Wie ein Schatten ist diese Schuld, selbst wenn ich renne, lässt sie nicht von mir ab."
Zitat aus Hörbuch
Anna Schudt, langjähriges Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen und am Residenztheater und vielen seit 2012 als Tatort-Ermittlerin bekannt, klingt mal ganz weich und sanft und dann wieder bestimmt und tough. Mit ihrer kraftvollen und warmen Alt-Stimme vermittelt sie sowohl das Starke als auch die Verletzlichkeit der Mutter Daniela.
Besonders eindringlich wirken etwa Danielas Schilderungen ihres von Rassismus und Abhängigkeiten geprägten Arbeitsalltags. Eines Tages fragt sie einen ihrer alten Patienten:
"Giovanni, mache ich mich gut als Pflegerin?
Er nickte halb, dann sagte er: 'Aber wäre besser, wenn du eine Schwarze wärst'.
'Doch doch', erklärte er arglos, Schwarze lassen sich anstandslos rum- kommandieren, ihr aus dem Osten seit die reinsten Diktatorinnen."
Zitat aus Hörbuch
In dem gut fünfstündigen berührenden Hörbuch keimt am Ende ein Hoffnungsschimmer auf in der frisch vermählten jungen Tochter, der Ich-Erzählerin im dritten Teil:
"Zum ersten Mal, seit Mama nach Rumänien zurückgekehrt und Manuel aus dem Koma erwacht war, empfand ich, dass wir vielleicht nicht nur Überlebende waren. Vielleicht war da noch mehr. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, gut miteinander auszukommen. Man musste nur herausfinden, wie?"
Zitat aus Hörbuch