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Bayern nach Tschernobyl Pilze und Wildschweine immer noch belastet

Am 26. April jährte sich zum 27. Mal das Reaktorunglück von Tschernobyl. Wie lange radioaktive Isotope zum Teil strahlen, kann man in einigen Gegenden Bayerns feststellen, die von der Tschernobyl-Wolke besonders betroffen waren. Dort registrieren Geigerzähler bei Wildschweinen, einigen Pilzarten und Waldbeeren noch heute hohe Werte.

Stand: 26.04.2013 | Archiv

Illustration: radioaktiver Teller mit Wildschwein und Pilze neben Besteck | Bild: colourbox.com; Montage: BR

Die radioaktive Wolke, die durch die atomare Katastrophe am 26. April 1986 in Tschernobyl freigesetzt worden war, kontaminierte in Deutschland bayerischen Boden am stärksten, vor allem im Bayerischen Wald, im Münchner Umland, in den Alpen und im Pfälzer Wald. Etwa 30 verschiedene radioaktive Substanzen wurden damals freigesetzt. Direkt nach einem solchen Super-GAU stellen Cäsium-137 und Jod-131 die größte Gefahr dar. Sie gelangen besonders leicht in die Atmosphäre und verteilen sich großräumig. Während aber Jod-131 oder Cäsium-134 eine verhältnismäßig kurze Halbwertszeit aufweisen, strahlen Cäsium-137 und Strontium-90 noch heute.

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Für die nachhaltige radioaktive Belastung ist vor allem Cäsium-137 verantwortlich. Künstliche Radionuklide wie Cäsium-137 oder Jod-131 können durch die Luft eingeatmet oder über Nahrung oder Trinkwasser aufgenommen werden. Als Beta- und Gammastrahler sind sie alle potenzielle Krebserreger.

Vor allem Cäsium-137 findet im Freistaat immer noch Wege in die Nahrungskette. Teilweise hoch belastet sind nach wie vor bestimmte Pilzarten. Sie wachsen vor allem auf Waldhumus, der wesentlich mehr Cäsium-137 an Pflanzenwurzeln und Pilzmyzele abgibt als etwa tonhaltige Äcker und Böden. Daher sind Getreide, Obst und Gemüse in Bayern kaum noch belastet. Waldbeeren wie Heidel- oder Preiselbeeren sind dagegen zum Teil noch kontaminiert.

Kontrolle der Lebensmittel aus Japan

Nach dem Unglück im japanischen Atomkraftwerk Fukushima am 11. März 2011 hob die EU-Kommission die Grenzwerte am 25. März 2011 zuerst sogar an: Für Lebensmittel aus Japan sollten demnach die Grenzwerte gelten, die in Europa bei einem Atomunfall gültig werden. Diese Lebensmittel hätten demnach mit Cäsium-137 in Höhe von 1.250 Bequerel/Kilogramm (Bq/kg) statt mit 600 Bq/kg belastet sein dürfen. Das Vorgehen der EU-Kommission stieß auf starken Protest von Verbraucherschützern und Wissenschaftlern.

Als Japan selbst die eigenen Grenzwerte für Lebensmittel verschärfte, zog die EU nach und glich ihre Grenzwert-Verordnung an - auf Werte, die deutlich strenger sind als die Werte, die in "normalen" Zeiten in der Europäischen Union gelten. Die neuen Regeln gelten für Lebens- und Futtermittel gleichermaßen. Dazu das kritische Umweltinstitut München: "Damit genießen die japanischen Tiere einen besseren Schutz als EuropäerInnen: Seit 1986 gelten in der EU Gesamt-Cäsium-Grenzwerte von 600 Bq/kg. Die so genannten Tschernobyl-Grenzwerte sind damit nicht nur deutlich höher als die japanischen, sie sind auch höher als die Grenzwerte in der Ukraine und in Weißrussland."

Strengere Grenzwerte in Weißrußland und der Ukraine

In Weißrußland und in der Ukraine gelten strengere Grenzwerte als in der EU - das bedeutet für den Verbraucher im Klartext, dass Lebensmittel aus der Ukraine importiert und überall in der EU verkauft werden dürfen. Lebensmittel, die aufgrund ihrer radioaktiven Belastung im Ursprungsland für den Handel gesperrt sind. Bereits lange fordern Wissenschaftler und Ärzte deshalb, die EU-Grenzwerte deutlich zu verschärfen.

Das Umweltinstitut München und andere Experten halten sehr viel geringere Dosen Radioaktivität für tolerierbar: Statt 600 Bq/kg höchstens 30 bis 50 Bq/kg Cäsium-Gesamtaktivität für Erwachsene und mit höchstens 10 bis 20 Bq/kg für Kinder, stillende Mütter und Schwangere. Für Babynahrung hält man maximal 5 Bq/kg für angemessen. Zum Vergleich: In der EU gelten für Säuglingsnahrung der selbe Grenzwert wie für Millch und Milchprodukte - nämlich 370 Bq/kg.

Diese Lebensmittel können noch gefährlich sein

Beeren

Heidel- und Preiselbeeren, die im Wald wachsen, sind nach wie vor belastet. Experten raten daher, dass Schwangere, Kinder und immungeschwächte Menschen Beeren und Produkte aus ihnen wie Heidelbeerjoghurt oder Preiselbeermarmelade meiden.

Wild

Erst im März 2013 mussten nach einer Jagd im Augsburger Umland die geschossenen Tiere alle beseitigt werden - sie waren zu sehr mit Radioaktivität belastet. Zum Teil wies das Fleisch Werte von über 10.000 Bq/kg auf. Doch solche Werte sind eher Ausnahmen: Von März 2012 bis März 2013 sei bei 12 von 136 untersuchten Wildsauen erhöhte Radioaktivität gemessen worden, so das Landesamt für Umwelt. Grund für die Belastung: Besonders in Jahren mit schlechtem Nahrungsangebot durchwühlen Wildschweine den Waldboden und sie fressen Pilze, darunter auch die unterirdisch wachsenden Hirschtrüffel, die sehr hohe Cäsium-137-Werte haben. Deshalb muss von Jägern jedes der mehr als 40.000 jährlich in Bayern geschossenen Wildschweine zu einer offiziellen Messstelle für eine Untersuchung auf Radioaktivität gebracht werden - es sei denn, der Jäger verzehrt die erlegten Tiere selbst.
Rotwild gilt dagegen als wenig belastet.

Pilze

Besonders Maronenröhrlinge, Trompetenpfifferling und Semmelstoppelpilze gelten als Cäsiumsammler, sind daher immer noch belastet. Andere Arten wie Champignons und Schirmlinge nehmen dagegen kaum Cäsium auf. Pfifferlinge und Steinplize befinden sich bezüglich der Cäsiumaufnahme in der Mitte. Am wenigsten belastet sind Sorten, die auf Holz wachsen, der Gelbe Pfifferling etwa oder Krause Glucke. Warum die Cäsium-Aufnahmebereitschaft der Pilze so unterschiedlich ist, ist noch unklar. Experten raten nach wie vor zur Vorsicht beim Pilzverzehr.

Maßeinheiten für radioaktive Belastung

Becquerel

Maßeinheit für Zerfall von Atomkernen pro Sekunde

Benannt nach dem französischen Physiker Antoine Becquerel;
Abkürzung: Bq / 1 Bq = Zerfall von einem Atom/Sekunde;
Der Becquerel-Wert sagt nicht direkt etwas über die Strahlenbelastung eines Menschen aus. Diese wird in Sievert gemessen.

Sievert

Maßeinheit für die Strahlenbelastung

Benannt nach dem schwedischen Physiker Rolf Sievert;
Abkürzung: Sv
mSv = Millisievert (ein Tausendstel Sievert)
µSv = Mikrosievert (ein Millionstel Sievert)

Wildschweine immer noch oft über dem Grenzwert

Wildschwein

Bei Wildschweinfleisch gibt es immer wieder hohe Cäsium-137-Werte. Allerdings gibt es keinen Grund zur Panikmache. Denn nur häufiger Genuss von Wildschwein kann gefährlich werden. Und in manchem Urlaubsflieger bekommt man - wegen der größeren natürlichen Strahlenbelastung in Flughöhe - eine höhere Dosis ab als von einem Teller Wildschwein:

Strahlenbelastung
BeispieleµSv = Mikrosievert
Natürliche Strahlenbelastung2.100 µSv/Jahr
200 g Pilze, die mit 4.000 Bq/kg belastet sind10 µSv
Große Portion Wildschwein (1/2 kg), das mit 600 Bq/kg belastet ist3,9 µSv
Strahlenbelastung bei einen Flug Frankfurt - Palma de Mallorca - Frankfurt6 µSv

Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt

Tipps für den Alltag

Tipps

Verzehr

Bei keinem Nahrungsmittel ist exzessiver Verzehr zu empfehlen, bei Pilzen rät das Bundesgesundheitsministerium: maximal 500 Gramm pro Woche.

Pilze

Selber Pilze sammeln: Wer bei der Unterscheidung von Gift- und Speisepilzen nicht ganz firm ist, halte sich an die Devise: "Pflücke, was Du kennst!" Besser aber keine Maronenröhrlinge, Trompetenpfifferlinge und Semmelstoppelpilze. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, verzichtet auf Waldpilze und beschränkt sich auf Zuchtschwammerl wie Champignons oder lässt Lebensmittel untersuchen.

Verzicht

Schwangere, Kinder und Menschen mit schwachem Abwehrsystem sollten auf den Genuss von Waldpilzen sowie von Heidel- und Preiselbeeren bzw. deren Folgeprodukte wie Heidelbeerjoghurt oder Preiselbeermarmelade verzichten.

Beeren

Unter den Waldbeerarten sind zum Teil auch Erdbeeren und Brombeeren belastet, Himbeeren dagegen kaum.

Wildfleisch

Bevor Jäger geschossenes Wild in den Verkehr bringen, müssen sie es von einer qualifizierten Messstelle auf Radioaktivität untersuchen lassen. Darf das Fleisch wegen Überschreitung des Grenzwerts von 600 Bq/kg nicht in den Verkehr gebracht werden, kann der Jäger beim Bundesverwaltungsamt in Köln einen Antrag auf Entschädigung stellen.

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