Katja Bürkle liest Ursula Krechel: Sehr geehrte Frau Ministerin
Eine Politikerin wird Opfer eines Überfalls. Eine Mutter erfährt, dass ihr Sohn zum Gewalttäter wurde. Eine Lehrerin verzweifelt am Unterricht und an einer Erkrankung. Ursula Krechel über ihren Roman. Lesung mit Katja Bürkle.
"Immer wieder taste ich an meinem Körper entlang, taste nach dem Schnitt. Der Körper ist Hauptschauplatz, aber dem Körper fehlt sein weibliches Zentralorgan. Wo es war, ist Stille. Die leere Mitte. Der unbetretbare Kaiserpalast. Die Kaiserin ist abgereist. Ihr geschminkter Vertreter trägt weibliche Kleider und spricht mit einer leisen, suggestiven Stimme. Im Volk gibt es nur noch die vage Erinnerung an sie."
(aus Ursula Krechel: Sehr geehrte Frau Ministerin)
Drei Frauen aus Deutschland, in unserer Zeit. Hier Eva Patarak, Angestellte in einem Kräutergeschäft in 2B-Lage (und einer vergleichbaren Lebenssituation). Dort die namenlose Justizministerin, die zum Opfer eines Attentates wird. Zwischen ihnen – und ihre Geschichten beständig miteinander verwebend – Silke Aschauer, Lateinlehrerin und an einer fordernden Krankheit leidend. Sie ist die Erzählerin im neuen Roman von Ursula Krechel, „Sehr geehrte Frau Ministerin“. Silke berichtet von Eva und von der Spitzenpolitikerin. Sie erzählt ebenso ihre eigene, eine alles andere als leichte Geschichte. Und sie blickt, als begeisterte Tacitus-Leserin, immer wieder zurück in die Geschichte der römischen Kaiserzeit, insbesondere zu Nero und seiner Mutter Agrippina. Die Antike – und mit ihr auch die politische Gewalt – bilden den Untergrund dieser Geschichte aus dem 21. Jahrhundert.
In ihren Romanen hat Ursula Krechel immer wieder intensiv die Geschichte des 20. Jahrhunderts vermessen, darunter in „Landgericht“, 2012 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, eine von vielen Ehrungen der Schriftstellerin und Publizistin. In „Sehr geehrte Frau Ministerin“, erschienen im Klett-Cotta-Verlag, hat sie sich nun erneut der Gegenwart zugewandt, einer Zeit, die auch im Zeichen einer politischen und gesellschaftlichen Verrohung steht. Auf eine der drei Frauen – die Justizministerin – blickend, sagt Ursula Krechel im Gespräch für den Bayern 2-Pdocast „Buchgefühl“: „Ihr Hauptthema ist der Rechtsstaat. Und der Rechtsstaat ist etwas, was wir im Moment sehen, etwas, das verteidigt werden muss – ich glaube, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik auf so heftige Weise.“
Für den Bayern 2-Podcast „Buchgefühl – Lesung und Gespräch“ liest die Schauspielerin Katja Bürkle eine Passage aus Ursula Krechels Roman, aus dem Teil, in dem Silke Aschauer, die Erzählerin, Auskunft gibt über ihr Leben. Die Regie hatte Irene Schuck. Mit freundlicher Genehmigung des Klett-Cotta-Verlags präsentieren wir das Gespräch mit Ursula Krechel und die Lesung mit Katja Bürkle im Podcast „Buchgefühl“ in der ARD-Audiothek.
Redaktion und Moderation: Niels Beintker.