1933 - Machtergreifung in Bayern Mai: Kampf gegen Arbeiter, Dichter und Denker
Zehn Tage nach den völkischen Feiern zum 1. Mai und der Zerschlagung der Gewerkschaften starten die Nazis ihren Generalangriff gegen den Geist. Tausende Bücher gehen in Flammen auf. Hauptschauplätze: München und Nürnberg.
Die neuen Machthaber sind angekommen und zeigen es: Überall wird jetzt paradiert, plakatiert, geflaggt, geböllert, gesungen und gesendet. Der Mai 1933 wird zu einer Art Frühlingsfest des "nationalen Erwachens" ausgestaltet - verdrehtes Brauchtum und krude Symbolik inklusive. Das Ziel: Die Zertrümmerung der Arbeiterbewegung und die Austreibung des Geistes.
1. Mai: Deutsche Eichen statt internationale Solidarität
Wie selbstverständlich begehen die Nazis den 1. Mai 1933 als "Feiertag der Nationalen Arbeit": Die Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) hat sich schon im Februar politisch neutral erklärt.
Was die Arbeiterbewegung seit Langem fordert - die Anerkennung des 1. Mai als bezahlten Feiertag: Hitler gewährt sie, veranstaltet Umzüge und Feuerwerke und pflanzt, medial verfolgt von Arbeitern in Festtagslaune, in Berlin-Tempelhof eine "Hindenburg-Eiche". Das böse Erwachen kommt am 2. Mai: SA und SS stürmen die Gewerkschaftsgebäude. Die Arbeitnehmervertretungen werden aller Anpassung zum Trotz zerschlagen und zusammen mit den Arbeitgeberverbänden der "Deutschen Arbeitsfront" einverleibt.
Goebbels notiert zutreffend in sein Tagebuch: "Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sie uns". Dass die Propaganda-Eiche im Juli von Unbekannten gefällt wird, dringt nicht nach Bayern. Das Regime rächt sich auf seine Art und lässt KZ-Gefangene hungern.
10. Mai: Mit dem Mistwagen gegen die Intelligenz
Nach den "Arbeitern der Faust" nimmt das Regime die "Arbeiter der Stirn" ins Visier: Künstler, Wissenschaftler, Intellektuelle. Schon seit März bekämpfen diverse NS-Aktivisten nicht immer koordiniert linke, liberale, pazifistische und vor allem jüdische Geistestätigkeit.In Berlin beschwört Propagandaminister Goebbels "spontane Aktionen der deutschen Geisteswelt". Ein 29-jähriger Bibliothekar namens Wolfgang Herrmann hat eine erste "Schwarze Liste (Schöne Literatur)" zur "Säuberung" der Leihbüchereien erstellt. Was auf ihr erscheint, wird verbrannt, verbannt oder jedenfalls als "nicht verleihbar" gekennzeichnet.
Die "Deutsche Studentenschaft" boykottiert oder bedrängt regimekritische Dozenten - in Erlangen durch Schmähungen an einem "Schandpfahl". Im Wettlauf mit der Hitlerjugend führen die Studenten eine Büchersammlung besonderer Art durch: "Studenten und Bürger Würzburgs! Pflegt deutsche Kultur und zerstört minderwertiges und zersetzendes Schrifttum undeutscher Schriftsteller", fordert ein Flugblatt. Abtransportiert wird oft auf Mistwagen.
In Würzburg hat zwei Monate zuvor die erste NS-Bücherverbrennung Bayerns stattgefunden: Am 10. März sind auf dem Residenzplatz die Buchbestände von SPD und Gewerkschaften vernichtet worden. Jetzt geht es um Döblin, Feuchtwanger, Hemingway, Kästner, die Manns, Remarque, Schnitzler, Seghers, Sinclair, Tucholsky, Wassermann, Arnold und Stefan Zweig, dazu um Einstein, Freud, Marx - und um andere, die die Nazis erfolgreich dem Vergessen ausliefern. Am 10. Mai brennen in der Mainstadt neue Scheiterhaufen - ebenso in München und Nürnberg und etwas später in Erlangen, Regensburg, Bamberg. Andernorts - vor allem in Coburg und in Oberbayern - hat die HJ schon am 6. und 7. Mai gezündelt.
"Das geht natürlich nicht"
"Spontan" wie von Goebbels dargestellt sind die Aktionen nicht - planlos schon eher. Unter Zeitdruck werden Exponenten "deutschen Geistes" um Unterstützung gebeten. Wie viele andere antwortet der in München wohnende, völkisch gesonnene Schriftsteller Erwin Guido Kolbenheyer abwartend: "Ich habe Ihren Aufruf vom 6.4.33 am 8.4.33 erhalten. Sie bitten mich um einen Propagandartikel bis spätestens 10.4.33. Das geht natürlich nicht." Kolbenheyer verweist auf eine bevorstehende Vortragsreise, bietet aber den Nachdruck dreier Aufsätze an, die "in ihre Kampfrichtung wirken", um dann statt mit "Heil Hitler" mit freundlichen Grüßen zu schließen.
"Gesinnungslumperei" und Feuerzauber
Die Nazis können es verschmerzen: In 22 Städten werden zeitgleich und - mit Ausnahme von Württemberg - praktisch flächendeckend rund 12.000 Werke vernichtet. Goebbels gibt, reichsweit im Rundfunk übertragen, in Berlin die Slogans von "Gesinnungslumperei", "seelenzerfasernder Überschätzung des Sexuallebens" und "volksfremdem Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung" vor, die an den Scheiterhaufen allerorten nachgebetet werden. Die Münchner Bücherverbrennung ist nach Berlin die größte. Unter 50.000 Teilnehmenden sind etliche im Talar.
Der Grafiker John Heartfield - selbst unter den Verbrannten - gestaltet noch in der Nacht für das Cover der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung in Prag eine Collage, die den zeigefingerschwingenden Goebbels zwischen verkohlten Bücherstapeln und rauchendem Reichstag zeigt. Titel der Ausgabe: Durch Licht zur Nacht.
"Die Bibliothek der verbrannten Bücher"
Die diffamierten Autoren dem Vergessen entreißen: Das ist das Ziel von Georg P. Salzmann aus Gräfelfing bei München. Innerhalb von 50 Jahren hat er die Werke von über 80 während der Nazi-Zeit verfolgten Autoren gesammelt. Seine "Bibliothek der verbrannten Bücher" umfasst rund 12.000 Bände und besteht größtenteils aus Erstausgaben.
Am liebsten hätte Salzmann sie im geplanten Ausstellungsbereich am Münchner Königsplatz der Öffentlichkeit präsentiert. Dort aber scheute man die Kosten. Interessiert zeigten sich das Dokumentationszentrum Nürnberg, die Universität Augsburg und ausländische Institutionen. Am 7. Mai 2008 entschied der Kulturausschuss des Bayerischen Landtags, dass die Bibliothek in Augsburg eine dauerhafte Bleibe haben soll.
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