Warum der Vulkan wächst und wandert Spätherbst am Ätna
Der Ätna ist nicht nur als höchster Gipfel Siziliens bekannt, sondern auch, weil der massige, mehr als 3300 Meter hohe Vulkan oberhalb der Küstenstadt Catania immer wieder Magma und Asche ausspuckt. Auch in diesem Sommer hat eine Reihe von Eruptionen des Ätna die Mittelmeerinsel wieder spüren lassen, dass sie genau auf der Kontinentalplatten-Grenze zwischen Europa und Afrika liegt.
Auch wenn der Ätna ausbricht, kann man sich ihm nähern. Und auch jetzt im Spätherbst sind an seinen Hängen Wanderer und Vulkan-Touristen unterwegs. Nur der Bereich der vier Gipfelkrater oberhalb von 3000 Metern ist derzeit Tabu. Francesco Banissoni ist einer der Bergführer der Kooperation „Gruppo Guide Etna Nord“. Mit einem Allrad-Geländebus bringt er wanderwillige bis zur Endstation am Ätna-Observatorium in 2800 Metern Höhe. Hier geht es dann los. Allerdings möchte man gar nicht schnurstracks in Richtung Gipfel auifsteigen, denn immer wieder stößt der Berg weiße, gelbe und graue Wolken aus: brühheißer Wasserdampf, ätzendes Schwefelgas und krümelige Aschefahnen.
Im Juli und August hat der Ätna Lavafontänen und kilometerhohe Aschewolken in den Himmel geschickt. Jetzt raucht er nur noch vor sich hin. Eine Gipfeltour ist dennoch zu gefährlich. Deshab macht Francesco Banissoni aus der geplanten Berg-Tour kurzerhand eine Bergab-Tour. In den letzten Monaten ist der Vulkan gewachsen, einmal sogar 49 Meter in einer einzigen Nacht. Weil er unentwegt Magma ausgespuckt und Unmengen an Tuff und Asche hat niederregnen lassen, sind es seit dem Sommer sogar knapp 100 Meter, um die der Ätna höher geworden ist.
Auf dem Weg hinab zur Ebene Piano Provenzana breitet sich die Vielfalt der sizilianischen Landschaft aus; endlose, braun-schwarze Halden mit Brocken von Lava-Schlacke - eine dunkle Mondlandschaft. Weiter unten gedeiht ein eigentümlicher Mischwald mit Pinien und Birken in Herbstfarben. Indian Summer am Ätna! Rechts unten leuchtet das Meer, links ziehen sich weitere Gebirgszüge ins Inselinnere. Ein auffälliges weißes Felsdreieck zieht die Blicke trotz des Dunstes an: Die 1340 Meter hohe „Rocca di Novara“ bezeichnen die Sizilianer als ihr kleines Matterhorn. Der Berg steht an der Grenze zwischen den Peloritani- und den Nebrodi-Bergen. Das sind zwei markante Bergketten nicht vulkanischen Ursprungs außerhalb des Ätna-Gebietes.
Bald hat unsere Wandergruppe im Abstieg eine lange Reihe von Kratern erreicht, die sich kilometerlang durch den Nordosthang des Ätna zieht. 2002 hat sich aus dieser Erdspalte ein zerstörerischer Lavastrom ergossen: „Bottoniera“ - Knopfleiste - nennen die Vulkanologen eine solche Linie von markanten Trichtern. Dann war es fast 20 Jahre relativ ruhig am Ätna. Bis sich „a'muntagna“ – wie die Sizilianer den Ätna nennen – sich in diesem Jahr wieder zu Wort gemeldet hat.
Selbst die Vulkanologen wurden von dem Ausbruch Anfang Juli überrascht. So waren sogar noch Touristengruppen am Kraterrand unterwegs, die sich schnell in Sicherheit bringen mussten.
Sogar Experten wie Francesco Banissoni, der eigentlich Bergführer ist und aus Bozen in Südtirol stammt und viele Monate seines Lebens an den großen Vulkanen der Erde verbracht hat, verschätzten sich bei den folgenden Eruptionen. Bei einer Exkursion – so berichtet es der Ätna-Guide – konnte er sich gerade noch retten, als plötzlich Magma-Fetzen und Vulkan-Bomben durch die Luft flogen. Über heiße Asche musste Banissoni rennen und hoffte die ganze Zeit nur, dass der Kleber seiner Schuhsohlen nicht so weich wird, dass er die Stiefel verliert und in Socken da steht.
Am Ende ging das Abenteuer gut aus. Und so kann er zum Schluss der Tour an den Lava-Hängen noch die Geschichte erzählen, warum der Ätna nicht nur ein „Wander-Berg“, sondern auch ein „wandernder Berg“ ist. Seinen Ursprung hatte der Ätna nämlich rund 20 Kilometer entfernt vor der Küstenlinie von Acitrezza im Meer. Dort gab es vor 600.000 Jahren die ersten Schlote mit aufsteigender Magma. Ganz langsam hat sich das Geschehen und der Lava-Kegel des Ätna immer weiter verlagert. Bis an die Stelle, wo heutzutage gelegentlich die Erde aufreißt.
Nur noch die Zyklopenfelsen – pittoreske Basaltstrukturen am Meeresufer bei Acitrezza – sind Zeugnisse, wo der Vulkan Ätna „geboren“ wurde. Heiße Sohlen bekommt man dort aber nicht. Eher: kalte Füße in der Brandung.