Das Ti pa Topp-Projekt in Norwegen Bergsteigen als Betriebssport
Gesunde und fitte Mitarbeitende wünschen sich alle Unternehmen. Viele von ihnen bieten deshalb Betriebssportprogramme an. Während hierzulande Zuschüsse zum Fitnessstudio, Gymnastik- oder Yogakurse beliebt sind, schicken Unternehmen in Norwegen ihre Angestellten einfach vor die Haustür auf den Berg – in einer Art Wanderwettbewerb.
Es ist ein schöner Maiabend in der norwegischen Stadt Bodø, etwa 80 Kilometer nördlich des Polarkreises. In den Hügeln hinter der Stadt liegt an manchen Stellen noch Schnee und die winzigen Birken haben gerade erst ausgeschlagen, aber die Sonne scheint bis in die Nacht und Adrian Dahl Johansen hat Feierabend.
Er ist einer der Chefredakteure bei NRK Nordland, einer Regionalredaktion des norwegischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Aber jetzt hat er die schicke Bürokleidung gegen Sportklamotten getauscht und ist unterwegs zu einer kleinen „Abendrunde“ – Nicht-Norweger würden es „Bergtour“ nennen, denn es geht knapp 300 Höhenmeter hinauf auf das Junkerfjell, einen Gipfel, den Adrian von seinem Haus am Stadtrand zu Fuß erreichen kann. Er hätte sich auch für einen der anderen Hügel entscheiden können, aber heute muss es das Junkerfjell sein, denn Adrian hat ein Ziel: Er will Punkte sammeln.
Der Wettbewerb, an dem Adrian teilnimmt, heißt „Ti på Topp“, also „Zehn auf den Gipfel“. Zwar stehen nicht zehn, sondern 17 Ziele zur Auswahl, und es sind auch nicht alles Gipfel. Leichtere Touren zu einer Hütte am See oder zu einem Rastplatz an einem Fluss sind ebenfalls dabei. Eine der schwierigsten Touren führt heuer aufs „Sandhorn“, ein Bergriese von fast 1000 Höhenmetern direkt an der Küste mit Schneefeldern bis in den Sommer hinein und dem für Norwegen typischen sehr steilen Anstieg. An jedem Ziel hängt ein Schild mit einem Code. Gibt man den in eine App ein, bekommt man einen Punkt.
Was sich anhört wie eine Freizeitveranstaltung für „Bergziegen“, wie die Bergfexe in Norwegen heißen, ist aber in Wahrheit viel mehr - nämlich ein Betriebssportprogramm. Denn auch in Norwegen bewegen sich die Menschen zu wenig, weiß Mona Lisa Skipnes, die Mit-Organisatorin von „Ti på Topp“ beim Norwegischen Betriebssportverband: „Die norwegischen Gesundheitsbehörden sagen, man soll sich 150 Minuten pro Woche moderat körperlich anstrengen. Aber weniger als 30 Prozent der Erwachsenen in der Bevölkerung folgen dieser Empfehlung. Mehr als 70 Prozent bewegen sich also zu wenig.“
Während Unternehmen andernorts ihren Mitarbeitenden Zuschüsse zum Fitnessstudio zahlen oder ihnen Yogakurse in der Mittagspause anbieten, nutzt man in Norwegen das, was man vor der Haustür hat: die Natur. Sich draußen aufzuhalten, hat hier eine so lange Tradition, dass es sogar ein eigenes Wort dafür gibt: „friluftsliv“. Und „Ti på Topp“ ist so angelegt, dass wirklich alle mitmachen können. Deshalb gibt es auch für jede Tour einen Punkt, egal ob sie leicht oder anspruchsvoll ist. „Hier können wirklich alle mitmachen; es ist ein sehr niederschwelliges Angebot“, sagt Skipnes. Die Teilnahme bei „Ti på Topp“ kostet umgerechnet etwas mehr als 20 Euro. Viele Unternehmen übernehmen diese Gebühr für ihre Mitarbeitenden. Es stärkt den sozialen Zusammenhalt, wenn man gemeinsam wandern geht - und fitte Angestellte sind besser als unfitte.
„Ti på Topp“ hat 2011 begonnen, inzwischen bieten Kommunen überall im Land den Wettbewerb an – mit großem Erfolg. In Bodø machen knapp 2500 Menschen mit, dabei hat die Stadt nur etwa 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Der Erfolg ist auch auf andere Weise sichtbar, erzählt Adrian auf dem Weg aufs Junkerfjell: „Manche der Ziele sind vor dem Wettbewerb eher unbekannt. Aber im Lauf eines Sommers entstehen neue Wege dorthin, Ti på Topp-Wege sozusagen. Zu einem Wettbewerb gehört natürlich auch ein Preis. Aber es ist nicht so, dass die Person mit den meisten Punkten automatisch gewinnt. Stattdessen bekommen alle, die es schaffen, im Lauf der Saison von Anfang Mai bis Ende September zehn der 17 Ziele zu erreichen, ein kleines Geschenk. Zusätzlich wird zum Beispiel das „Tourbild des Jahres“ gekürt.
Adrian steht auf dem Junkerfjell-Gipfel – nach einer halben Stunde und nur deshalb außer Atem, weil er unterwegs seine Mütze verloren hat und den halben Berg nochmal hinuntergerannt ist. Er öffnet die App. Die erkennt automatisch seine Position und bestätigt mit einem leisen „Pling“. Dahl Johansen grinst zufrieden und genießt noch ein bisschen die Aussicht über Stadt und Meer auf der einen und das wilde, schneebedeckte Fjell im Landesinneren auf der anderen Seite. Für heute hat er sein Ziel erreicht.