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Porträt eines fränkischen Urgesteins der Rotpunkt-Bewegung Der Kletter-Revolutionär Reiner Pickl

Zum allerersten Mal in der Geschichte der Olympischen Spiele waren in diesem Jahr in Tokio auch Kletterer als Athleten dabei. Sie repräsentieren einen Sport, der im Grunde genommen noch recht jung ist, zumindest in der heute üblichen Form. Eine der wichtigsten Stationen bei der Entwicklung des Sportkletterns war die Fränkische Schweiz. Dort lebt bis heute ein Mann, der zu den Sportkletterern der ersten Stunde gehört: Reiner Pickl, Bergführer, Revolutionär und Kletterpionier sowie Seilpartner und Freund von Kurt Albert.

Von: Kilian Neuwert

Stand: 23.10.2021 | Archiv

Porträt eines fränkischen Urgesteins der Rotpunkt-Bewegung | Bild: BR; Kilian Neuwert

Alle waren sie Anfang 20 und von der Idee her Revoluzzer, die es den Alten zeigen wollten.

Vor zehn Jahren ist Kurt Albert ums Leben gekommen, als Kletter-Legende ist er unvergessen.

Und den Alten haben sie es dann auch gezeigt, damals Mitte der 1970er-Jahre: Reiner Pickl und seine Kletterfreunde, allen voran der 2010 verunglückte Kurt Albert, der gewissermaßen bis heute Pate steht für die Rotpunkt-Bewegung, die das Klettern revolutioniert hat.

Reiner Pickl ist heute Mitte Sechzig. Wir treffen uns oberhalb der Ortschaft Streitberg in der Fränkischen Schweiz - dort, wo einst Sportgeschichte geschrieben wurde. Die Landschaft ist hügelig und dicht bewaldet. Unten im Ort stehen einzelne Fachwerkhäuser, durch das Tal schlängelt sich die Wiesent. In dieser Szenerie steht das Streitberger Schild: ein Kalkfels, gut dreißig Meter hoch, mit einer ganz besonderen Kletterroute: dem Adolf-Rott-Gedächtnisweg. Hier wurde einst der allererste Rote Punkt gesetzt, vermutlich aus Zufall, weil es sich halt gerade so ergeben hat, sagt Reiner Pickl.

Den allerersten roten Punkt hat die Gruppe an diese Wand gemalt: An das Streitberger Schild über der gleichnamigen Ortschaft im Wiesenttal.

Der Rote Punkt bzw. das Rotpunktklettern ist gewissermaßen das Erbe der fränkischen Clique rund um Kurt Albert, zu der auch Reiner Pickl gehörte. Mitte der Siebzigerjahre begannen sie bestehende Routen frei zu klettern. Als Griffe und Tritte dienten nur noch natürliche Felsstrukturen, keine Haken oder Trittleitern mehr. Wurde eine Route so geklettert – in einem Zug, ohne zu Rasten – pinselten Kurt Albert, Reiner Pickl und andere einen roten Punkt an den Felsen, acht Zentimeter groß im Durchmesser. Die entsprechenden Schablonen hatten sie im Rucksack, ebenso die Farbdosen, die hin und wieder auch ausgelaufen sind. Die Zeit war jedenfalls reif für Neues. Anregungen hatte sich die Gruppe zuvor bei Besuchen in der DDR geholt: im Elbsandsteingebirge in Sachsen, einem anderen traditionellen Klettergebiet.

Durch den linken Wandteil zieht der Adolf-Rott-Gedächtnisweg (6+). Diese Route wurde 1975 als erste Tour mit einem roten Punkt versehen.

Nur rund zwei Jahre lang, erinnert sich Reiner Pickl, ging die Gruppe mit Farbeimern im Gepäck zum Klettern. Denn nahezu überall in der Region fanden sie Nachahmer. Das heißt auch, dass längst nicht jeder rote Punkt, der heute noch an den Felsen im Frankenjura zu sehen ist, von den Pionieren selbst stammt. Doch so beliebt die Idee des Freikletterns bei Pickls Generation war, so verpönt war sie teils bei älteren Kletterern. Denn die jungen Wilden malten nicht nur rote Punkte. Sie entfernten teils auch alte Haken und setzten nur wenige neue. War eine Route „ausgenagelt“, wie es im Jargon hieß, war technisches Klettern nicht mehr so leicht möglich und für so manchen Älteren die Tour damit nicht mehr machbar.

Das Streitberger Schild ist zwar von weiten zu sehen, daran dass hier Sportgeschichte geschrieben wurde erinnert aber nichts.

Nach seinen Anfangsjahren als Kletterer in der Fränkischen Schweiz wurde Reiner Pickl Bergführer. Ab 1982 war er mit Gästen oft in den Westalpen unterwegs und verdiente sein Geld dort, während die Leistungen zu Hause explodierten und das Rotpunktklettern international zum Begriff wurde. Wenn er im Herbst nach Hause kam, hat er versucht alles aufzuholen, doch bald kam der Winter und er konnte nicht mithalten. Trotzdem kletterte Reiner Pickel Mitte der Achtzigerjahre im unteren neunten Grad. Bis heute lebt er in Franken und bietet als Bergführer auch Kletterkurse an den Felsen an, die ihm so viel bedeuten. Trotz eines schweren Gleitschirmunfalls, der ihn gezeichnet hat, klettert er weiter. Und während das Sportklettern 2021 erstmals olympische Disziplin wurde, erinnert am Streitberger Schild nichts daran, was hier einst begonnen hat. Der aller erste rote Punkt scheint verblasst zu sein, doch die Ideen von Kletter-Revolutionären wie Reiner Pickl sind geblieben und haben sich weiterentwickelt – und zwar so, wie es sich die Urheber selbst nie hätten träumen lassen.

Mehr über Reiner Pickl können Sie an diesem Wochenende hören und sehen: zum einen heute hier auf Bayern 2 um 14.05 Uhr in einem „Breitengrad“ zur Laliderer Nordwand, wo Reiner Pickl in einer anderen Rolle als Alpinist seine Kenntnis der bedeutendsten Wände der Ostalpen beweist sowie morgen um 18.45 Uhr in „Bergauf-Bergab“ im BR Fernsehen.


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