Leben im Lechtal einst und jetzt Ein Leben voller Arbeit und Sehnsucht
Frauen schuften in Schürzen, Heuarbeit auf steilen Grashängen: Junge Generationen können kaum begreifen, wie die Menschen in Alpentälern noch in den 60er Jahren lebten. Für das Tiroler Lechtal hat Josef Friedl seine Erlebnisse von Damals in ein Buch fließen lassen.
Josef Friedl ist 68 Jahre, aufgewachsen und wohnhaft in Boden, einem kleinen Dorf in einem Seitental des Tiroler Lechtals. Als Bub hat er noch miterlebt, wie in den 1960er Jahren die erste Straße ins Tal gebaut worden ist und jetzt hat er in einem Buch seine Geschichte aufgeschrieben: „Die Berge, mein Leben voll Arbeit und Sehnsucht“.
Ein Feriengast hat Anfang 1960 das Leben in den Dörfern Bschlabs und Boden im Lechtal gefilmt: Frauen in Schürzen, die mit bloßen Händen Kartoffeln aus der Erde graben, hagere Männer gebückt unter einem mannshohen Heubündel. Josef Friedl war als Kind noch dabei, wenn das Futter für den Winter bis von den Gipfeln geholt wurde. Auf den 40 Grad steilen Grashängen, wo jeder Stolperer tödlich hätte sein können. Mit Steigeisen an den Füßen und einem Stecken als Stütze schleppten auch seine Mutter und seine Tante Heuballen durchs Absturzgelände. Diese Kindheit und Jugend hat ihn geprägt. Und diese Welt von gestern wollte Josef Friedl auf keinen Fall dem Vergessen überlassen. Die Lebens-, Denk- und Arbeitsweise wollte er festhalten für die nächsten Generationen, denn schon jetzt könne sich niemand mehr vorstellen, wie sie damals gelebt haben.
Einer, der geblieben ist
Eine Grundbescheidenheit, Ausdauer, Toleranz und innere Kraft hat sich Josef Friedl dabei erworben. Er hat draußen im Lechtal in Reutte bei einer Firma gearbeitet, aber ist mit der Familie zeitlebends in Boden geblieben. Er war Bürgermeister, Vorsitzender von Agrargemeinschaft und Jagdgenossenschaft, Messner und teilweise alles zusammen als einer der Wenigen, die in Boden geblieben sind. Die eindrucksvolle Standhaftigkeit hat Josef Friedl sicher von den Eltern geerbt, die um den Erhalt des Dorfs und der Berglandwirtschaft gekämpft haben. Aber heute sieht sein Heimatdorf Boden trotz des lebenslangen Einsatzes einer ungewissen Zukunft entgegen.
Von Kindesbeinen an Bergsteiger
Nach einem Leben voll Arbeit hat sich Josef Friedl in den vergangenen Jahren der Sehnsucht zugewandt und der Reihe nach fast alle Schweizer Viertausender bestiegen, vom Matterhorn bis zum Weißhorn. Von Kind auf hat er sich eine intuitive Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erworben. Und im Vergleich zur Anstrengung bei der Heuarbeit sei jede Westalpentour ein Klax, sagt der drahtige Lechtaler. So schildert Josef Friedl seine Bergtouren genauso wie das Leben in Boden in jener Welt von gestern auf 500 Seiten. Er hat es sich buchstäblich von der Seele geschrieben, aufrichtig, klar und lebensnah. Und er hat damit zuallererst seine eigenen Kinder wie die 22-jährige Katharina beeindruckt: Vieles aus der eigenen Umwelt und Familiengeschichte hat Katharina selbst erst beim Lesen entdeckt, denn als eingeborener Lechtaler pflegt ihr Vater normalerweise nicht viele Worte zu machen. Auch das macht das Buch besonders, denn es ist eben kein Profi, sondern einer, der das Leben in einem abgeschiedenen Bergtal mit jeder Faser seines Körpers gelebt hat, der hier beschreibt, was ihn im Dorf, im Tal und in den Bergen umgetrieben hat. Und der etwas aus der Vergangenheit hinübernehmen will in die Zukunft.